der Selbstvertretung wohnungsloser und ehemals wohnungsloser Menschen

über die „verdeckte einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können“ (Friedrich Engels am Grab von Karl Marx)

Vorbemerkung

Auf dem Wohnungslosentreffen 2018 in Freistatt, Niedersachsen, haben wir – das sind um die 120 wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen aus dem deutschsprachigen Raum und etlichen Regionen Europas - uns getroffen, um in Arbeitsgruppen an einem politischen Programm zu arbeiten.

Wir möchten dieses Papier als ein erstes Ergebnis präsentieren und dazu sagen, dass es nur ein Anfang sein kann.

Grundsätze

Niemand ist froh, auf der Straße zu leben. Wohnungslos zu sein, bedeutet schutzlos zu sein.

Zu einem würdevollen Leben gehört würdevolles Wohnen! Unsere Gesellschaft braucht einen Mentalitätswandel hin zu mehr Solidarität! Die Verhältnisse, in denen Menschen leben, müssen gerecht gestaltet werden, was eine gerechte Verteilung der Güter und Chancen mit einschließt.

Fünf Themen sind zentral:

1. Forderungen für Soforthilfe

Das Leben auf der Straße ist eine Bedrohung für Leben und Gesundheit und des Menschen unwürdig. Hilfen und Unterstützung müssen unmittelbar zur Verfügung stehen.

Der Regelsatz an Sozialhilfe muss tabu bleiben für Zugriffe.

Wenn man auf der Straße lebt, hat man höhere Lebens(er)haltungskosten als in einer Wohnung. Deshalb fordern wir einen Regelsatzerhöhung für Menschen, die auf der Straße Leben.

Wohnungslose Menschen, die getrennte Eltern sind, müssen mit ihrem Umgangsrecht (-pflicht) jederzeit dem Kindeswohl gerecht werden können. Dazu gehört auch die Möglichkeit, das Umgangsrecht überhaupt ausüben zu können. Das Familienleben muss bei wohnungslosen Menschen, die Kinder haben, anerkannt werden. Möglichkeiten für kindgerecht Unterbringung, Sicherung der Bindungen und des Kontaktes sowie kompetente Unterstützung müssen geschaffen werden.

Hilfen für Obdachlose müssen bundesweit einheitlich sein.

2. Hilfe zur Selbsthilfe

Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet, selbst losgehen und Druck zu machen, eigenständig zu recherchieren, eigene Ziele und Pläne zu entwickeln. Wir wollen die Mechanismen der Selbstentmündigung überwinden.

Unter Hilfe verstehen wir

  • Begegnung auf Augenhöhe
  • gezielte Unterstützung (z. B. Streetworker, Suchtberatung)
  • Ziele kontrollieren und neu erfassen

Selbsthilfe bedeutet, es selbst tun, sie gibt Ansporn und Motivation und ermöglicht Stolz, Zufriedenheit und Glück.
Vor der Selbsthilfe steht die Selbstfindung, danach die Findung von Gleichgesinnten. Selbsthilfe ist keine Selbstbedienung.

Um zur Selbsthilfe zu kommen, setzen wir uns eigene Träume, Wünsche und Ziele. Um an diese Ziele zu kommen, brauchen wir eine Starthilfe. Unserer Ziele sind das Fundament für eine bessere Zukunft, die Starthilfe aber auch. Wir brauchen zur Realisierung auch Unterstützung und finanzielle Förderung.

Nur wenn wir die Hilfe bekommen, die wir brauchen, sind wir auch wieder in der Lage zu geben und zu helfen. Das zu erreichen, macht uns alle stark.

3. medizinische Versorgung

Es gibt viele Gründe, warum medizinische Angebote von wohnungslosen Menschen nicht in Anspruch genommen werden. Angst, Scham, fehlendes Vertrauen, weite Entfernung, körperliche bzw. psychische Unfähigkeit, finanzielle Probleme, Sprachprobleme, fehlende Krankheitswahrnehmung, Suche nach einem Schlafplatz, organisatorische Gründe (Wo ist eine Arztpraxis, sorge um Besitz), Einhalten von Terminen, Verbot von Alkohol- und Drogenkonsum, mangelnde Kooperation, lückenhafte Vorerkrankungen, medizinische Amnesie, fehlende Kommunikation (Telefon / Internet) und zu guter Letzt der fehlende Ausweis. (siehe ETOS)

Um die medizinische Versorgung wohnungsloser Menschen zu verbessern, fordern wir:

  1. Wir fordern eine Krankenkasse für alle (Beispiel Kanada)
  2. Keine Behandlungsunterschiede zwischen Wohnungslosen und nicht Wohnungslosen
  3. Mehr Arztmobile für eine vor Ort Versorgung
  4. Bessere finanzielle Unterstützung der Hilfsorganisationen
  5. Kostenlose Medikamente durch z.B. Pharmafirmen, die solche an Verteiler wie Apotheken und Arztpraxen ausgeben.
  6. Einhaltung des hippokratischen Eides bei Ärzten und Krankenhäusern
  7. Vollständige Genesung in Krankenhäusern
  8. Nicht nur Akut- Versorgung, sondern auch Behandlung von chronischen Erkrankungen
  9. Bessere Versorgung von psychisch erkrankten Wohnungslosen

Wir verweisen auf Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetztes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ sowie auf Artikel 2, Absatz des des GG: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

4. Konfliktlösungen

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass unser Alltag gekennzeichnet ist durch Konflikte und Gewalterfahrungen. Wir erleben uns häufig als „Fremde“ im eigenen Land, wir sehen jeden Tag, dass ein soziales Gefälle besteht, wir fühlen uns selbst oft überfordert und erleben Unzufriedenheit und Unverständnis, Aggressionen und Gewalt auch bei uns. Wir müssen lernen, einander auszuhalten und miteinander zu leben.

Auch wir selbst machen uns auf die Suche nach Bewältigungsstrategien, die helfen können, um den Auslöser abzupassen oder auf einen Konflikt zu reagieren.

5. Recht auf Wohnen und Wohnungsbau

Das Recht auf Wohnen muss im Grundgesetz verankert und praktisch umgesetzt werden. Leerstand muss enteignet und als Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Wir brauchen ein breites Bündnis für eine neue Wohnungspolitik.

In Bezug auf den Wohnungsnotstand sollen Jobcenter Kautionen ohne Darlehen übernehmen.

Auch für den erforderlichen öffentlichen Wohnungsbau gilt: Jeder von uns hat Fähigkeiten, die eingebracht werden können/ sollen, wohnungslose Menschen sollen in Bauvorhaben einbezogen werden.

Der Artikel 13, Absatz 1 des Grundgesetzes: Die Wohnung ist unverletzlich. Muss ergänzt werden: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Wohnung.

6. weitere Forderungen

Es sollte in den Regierungen der Länder wie auch im Bund Obdachlosenbeauftragte geben und auch eine ausreichende Finanzierung für (den Aufbau) einer Selbstvertretung Wohnungsloser.

Freitag,27.07.2018
Beschlossen auf dem Plenum des Wohnungslosentreffens 2018 in Freistatt

 – zum aktuellen Stand und zur weiteren Arbeit

Auf den Wohnungslosentreffen 2016, 2017 und 2018 sind wir zusammengekommen und haben uns verabredet, eine Selbstvertretung vereinter wohnungsloser und ehemals wohnungsloser Menschen zu gründen. Das Armutsnetzwerk e.V. und das europäische Netzwerk HOPE (HOmeless in euroPE) waren und sind wichtige Partner auf diesem Weg und werden es weiter sein.

Wir sind die Plattform der Selbstvertretung wohnungsloser und ehemals wohnungsloser Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben. Wir engagieren uns für eine bessere Welt, die Überwindung von Armut, Ausgrenzung, Missbrauch, Entrechtung und Wohnungslosigkeit sowie für die Verbesserung konkreter Lebenssituationen:

Alles verändert sich, wenn wir es verändern!

Gemeinsam wollen wir die Mechanismen der Ausgrenzung, Entmündigung und Selbstentmündigung überwinden.

Wir sind unterschiedlich und vielfältig. Wir sind Gruppen, Vereine, Einzelpersonen, Projekte, Initiativen, Unterstützende und Gleichgesinnte. Wir vernetzen uns und arbeiten auf Basis selbstbestimmter Regeln zusammen.

Nach Ablauf der Förderung durch Aktion Mensch und des Diakonischen Werkes in Niedersachsen ist es unser Wille, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.

Hierzu braucht es mindestens

• eine ständige Koordinierungsstelle,
• halbjährliche Koordinierungstreffen und
• jährliche bundesweite Wohnungslosentreffen mit europäischer Beteiligung als Foren und zur Vollversammlung.

Darüber hinaus ist unverzichtbar, Aktivitäten zur Vernetzung, zur Fortbildung und zur Beteiligung an Tagungen und Veranstaltungen durchführen zu können.

Wir wollen uns an vielen Orten im deutschsprachigen und auch im europäischen Raum treffen. Wir wollen neue Menschen in verschiedenen Regionen ansprechen und einbeziehen und neue, regionale und thematische Gruppen bilden und auf diese Weise eine politische und soziale Schlagkraft entwickeln.

Über Armut und Wohnungslosigkeit muss anders diskutiert werden: Unbedingt auf Augenhöhe, mit uns und nicht über uns!
Wir begegnen einander in Akzeptanz und Würde. Dadurch finden wir zu unserer Kraft. Dadurch entsteht erfahrungsgemäß eine persönliche und gemeinsame Weiterentwicklung.

Wir entdecken unsere eigene Kraft und unsere Fähigkeiten. Wir trauen uns zu, so zu sein, wie wir sind, unsere Stärken und Schwächen zu erkennen und uns nicht mehr zu verstecken.

Bei unseren Treffen können wir uns selbst finden, Kontakte entwickeln und gemeinsam lernen. Dadurch erweitert und verbreitet sich unser Netzwerk und neue, oft überraschende Partnerschaften entstehen.

Um diese von uns gewollte Arbeitsform umzusetzen, sehen wir die Gesellschaft und insbesondere die Öffentliche Hand in der Verantwortung, uns Finanzen, Mittel, Strukturen und Ressourcen zu übertragen, damit wir eine langfristige Sicherheit haben.

Auf der Basis der Zusammenarbeit mit der Aktion Mensch, der Stiftung Bethel, dem Diakonischen Werk in Niedersachsen und vielen weiteren Partnern haben wir unsere Ziele entwickeln können.

Herzogsägmühle, eine Einrichtung der Diakonie in Oberbayern, bietet uns anlässlich ihres 125jährigen Bestehens an, Gastgeber des kommenden Wohnungslosentreffens 2019 zu sein. Das ist ein wichtiger nächster Schritt.

Wir haben den ausdrücklichen Wunsch, dass unsere bisherigen und weitere und neue Partner, insbesondere das Armutsnetzwerk e.V. und das europäische Netzwerk HOPE (HOmeless in EuroPE) sowie als strategische Partner die Stiftung Bethel und Herzogsägmühle

• uns weiter aktiv an unserer Seite stehen
• und in unserem Namen und Auftrag die notwendige organisatorische, personelle und finanzielle Unterstützung bereitstellen werden.

Freistatt, 28.07.2018
Plenum des Wohnungslosentreffens 2018

Dieser Diskussions-Workshop fand am Freitag, den 27. Juli 2018, auf dem Wohnungslosentreffen Freistatt 2018 ab 11:30 Uhr statt. Hier folgt das Protokoll zum Workshop:

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Protokoll von Jens Roggemann
Wohnungslosentreffen Freistatt 2018
27. Juli 2018, ab 11:30 Uhr, Gute Stube, Haus Wegwende, Freistatt
Diskussion mit Prof. Dr. Ingmar Steinhart (Vorstandsmitglied der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Bielefeld)
Moderation: Ingmar Steinhart
Anwesende: etwa 30 Teilnehmende

Strategien für den Aufbau einer Selbstvertretung Wohnungsloser

Prof. Dr. Ingmar Steinhart eröffnete die Diskussionsrunde mit zwei interessanten Fragen:

  • „Was ist das Küken, das dabei herauskommen soll?“
  • „Was ist bei den nächsten Treffen „das Neue“, das mit einem neu zu stellenden Antrag gefördert werden könnte?“

Daraus ergaben sich dann verschiedene Beiträge aus der Runde, die hier stichwortartig folgen:

  • Es kam die Frage nach Arbeitsaufträgen auf, auch vor dem Hintergrund, dass der Standort Herzogsägmühle erst einmal nur für das Wohnungslosentreffen 2019 zur Verfügung steht
  • Die Frage nach einer Infrastruktur (der internen Organisation des Projekts)
  •  Die Frage nach Finanzen – „Geld sammeln“
  •  Michael Stiefel griff dann den Begriff „Küken“ auf
    - Sollte das nicht eher ein Truthahn, Saurier oder „Gremlin“ werden?
    - Dazu kamen dann Gedanken auf wie:
      - Schlachten für die Weihnachtsplatte
      - Fliegen lernen
      - Oder gar Feuer spucken lernen, ohne seine Kumpel abzufackeln
  • Michael (Herzogsägmühle - HSM) warf ein, das es kein Pendelverkehr
    nur zwischen Freistatt und Herzogsägmühle werden dürfe
    - Das Projekt breiter in die Fläche bringen
    - Mit anderen, neuen Standorten die Basis verbreitern
  • Stefan Schneider würde gerne sehen, dass gemeinsame Wünsche schneller wahr werden könnten
    (eine Art Möglichkeits-„Replikator“?)
  • Frank Kruse eine Erhöhung von Regionalgruppen als Ziel auf
    - 120 Teilnehmende habe sich als machbar erwiesen
    - Es sollten aber künftig mehr Gruppen beteiligt werden
    - Die Unterstützungsstruktur für Gruppen müsste verbessert werden
  • Michael Stiefel mahnte Verbesserungen an bei:
    - Wissensaustausch
    - Kompetenzentwicklung (für Gruppen, aber auch für Einzelne Teilnehmende)
  • Weitere Institutionen könnten dazugewonnen werden
  • Mögliche Probleme zwischen Träger-Interessen und den Interessen der Selbstvertretung (SVW) wurden erwähnt
  • Es könne nicht darum gehen, „die NAK zu kopieren“!
  • Die Frage nach einer „Selbsttragenden Struktur“ kam auf – Kann die SVW das überhaupt werden?
  • Wären weitere Arbeitsfelder wünschenswert? (z. Bsp. ein Ökohof)
  • Könnte die SVW einen eigenen EU-Förderungstopf erstreiten?
  • Wäre eine dauerhafte Förderung durch den Bund bzw. durch die EU überhaupt denkbar?
  • Frank Kruse dachte über die Suche nach unabhängigen (nicht Wohnungslosenhilfe leistenden) Partnern nach
    - z. Bsp. der Jugendfeuerwehr mit Zeltlager-Know-How
  • Ingmar Steinhart fragte: Von der Stiftung Bethel unabhängig werden als Ziel?
  • Stefan Schneider gab zu bedenken, dass mit den Koordinierungstreffen ...
    - Zur Nachbereitung
    - Zum Erfahrungsaustausch und Gruppenabstimmung
    - Zur Vorbereitung von Folgetreffen
    ....das Organisationsbüro und die Pressegruppe schon deutlich unabhängiger geworden seien
  • Frank Kruse kam zurück zur Frage: "Dauerhaftes Geld – Woher?“
    - Eine Vereinssatzung sei ja schon erarbeitet worden
    - Organisationsform und Rechtsperson stehe noch nicht fest
  • Ingmar Steinhart: Eine konkrete Organisations-Form wäre aber sehr wünschenswert
    - Wie z. Bsp. bei den Ex-in-lern, den Psychiatrie-Erfahrenen)
    - Bildung einer „Pressure Group“?
    - Optimalerweise 7 Menschen, als Vereins-Vorstufe?
    - Für Institutionelle Fördeung sei eine Organisations-Form wichtig
  • Michael Stiefel: Als Endziel eine Förderung von 1% aller Wohnungslosenförderung des Bundes anstreben
  • Stefan Schneider überlegte noch, mehr Unterstützer für das Aufmachen des „politischen Raumes“ zu gewinnen
  • Ingmar Steinhart regte an aus der „Stärkungsrunde“ heute eventuell einen „Runden Tisch“ zu gründen
    - Künstler, Kirchen, Politiker, Hochschulen, Medien, Prominente gewinnen
  • Frage nach einem zu mächtigen Organisations-Team wurde gestellt
    - Eine Erweiterung des Teams wäre gut
    - Ein Auslaufen von Stefan Schneiders Stelle im Februar steht an
    - Weitere Aktivisten finden? (Praktikanten, BuFties, gegen Honorar, ...)

Wie könnte dann ein neuer Antrag auf Förderung aussehen?

Welche Ausrichtung sollte er haben? Ein Thema für das nächste Plenum?

Michael Stiefel fragte dann noch nach der generellen Weiterentwicklung, besonders der drei Kernfelder

  • Organisation / Durchführung
  • Programm
  • Kompetenzentwicklung
  • Weitere Felder (Öffentlichkeitsarbeit?)

Wir sollten das „Wir sind klein und schwach“-Gefühl möglichst schnell überwinden!

Wie könne Fragen der „Pöstchen-Verteilung“ gerecht organisiert werden?

(Text: Jens Roggemann)

Anhang:
Flipcharts eines vorigen Workshops und Ergebnissammlung in Stichworten

 

SVW - Interessenvertretung +Partner 2018-07-27 (1080 x 1720 px)
SVW - Interessenvertretung + Partner 2018-07-27

 

Dieser Arbeitsgruppe (etwa 15 Teilnehmende) traf sich am Mittwoch, 25. Juli 2018, im Seminarraum Wegwende auf dem Wohnungslosentreffen Freistatt 2018 ab 11:00 Uhr.

Frank Kruse bat zum Nachlesen um Veröffentlichung der Ergebnisse:

Text: Arbeitsgruppe und Frank Kruse

 

 

Dieser Workshop mit Textarbeit fand am Mittwoch, 25. Juli 2018, auf dem Wohnungslosentreffen Freistatt 2018 ab 11:00 Uhr statt. Hier folgt das Protokoll zum Workshop:

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Protokoll von Harald Januschke
Wohnungslosentreffen 2018 in Freistatt
24. Juli 2018 in Gute Stube von Haus Wegwende in Freistatt.
Beginn 11 Uhr
Präsentation durch Matthias Albrecht  - Haus Lazarus / Lobetal
Moderation: Matthias Albrecht / Brandenburg
Anwesende: 20 Teilnehmer

"Ohne Obdach - Leben auf der Straße"

Zum Auftakt des 4. Tages, direkt nach dem traditionellen Plenum, fanden sich Interessierte zu einer Lesung von Matthias Albrecht aus Brandenburg ein. Der evangelische Theologe und Seelsorger des Hauses Lazarus in Berlin sorgte 2016 als Buchautor für Aufmerksamkeit. In dem Buch "Ohne Obdach - Leben auf der Straße" beschreibt seine Erkenntnisse und Erfahrungen, die er freiwillig als Wohnungsloser gemacht hatte.

Vor Beginn der Lesung erklärte der Pastor, dass er sich für diesen Schritt für seine zukünftige Tätigkeit in der Fürsorge entschieden hatte, und dieses Selbstexperiment als Praktikum nutzte. Des weiteren erwähnte Albrecht, dass es zwar um seine Erfahrungen ginge, aber nichtum ihn selbst. Aus diesem Grund wählte der Autor auch den Namen Matthias Unterwegs als Pseudonym. Seinen Versuch testete er zunächst 4 Wochen in Frankreich, danach 4 weitere Wochen in Deutschland.

Danach lass er aus einigen Kapiteln seines Buches, und einige Zuhörer fanden sich schnell in die Geschichte ein, weil sie viele der Geschichten am eigenen Leib zu spüren bekamen, und teilweise noch zu spüren bekommen. Sei es von den Schwierigkeiten, sich bei Kälte einen warmen Platz zu suchen, oder das Erlernen des Bettelns, um sich von diesem Geld ein Busticket leisten zu können, um damit in einen Ort zu gelangen, um an eine ausreichend warme Schlafstelle zu gelangen. Albrecht berichtet auch über die Kränkung darüber, über das Musizieren mit der Mundharmonika etwas Geld zu erhalten, dass Menschen einfach an ihm vorbeilaufen ohne ihn zu beachten. Er führt weiter aus, das die Passanten mitunter kein Geld spendeten, sei weniger erniedrigend als die Gleichgültigkeit einiger.

Diese Erfahrungen aus Alby, einer kleinen Stadt in der Nähe von Toulouse, erweiterte er dann mit Erkenntnissen hierzulande u.a. in Bayreuth. Albrecht war erschrocken darüber, wie die Wagner-Stadt ihr Image rettet, und dafür sorgt, das Menschen am Rande der Gesellschaft auch genau dort bleiben, um sie nicht am Stadtleben teilnehmen zu lassen. So gleicht die Einrichtung, die sich ebenfalls weit entfernt vom Stadtkern befindet, einem Gefängnis, da man, selbst wenn man es  möchte, den Schlafplatz erst am nächsten Tag wieder verlassen kann, da diese über Nacht verschlossen bleibt. Die Touristen und Musikfreunde der schönen Künste bekommen so auf diese Weise nicht mit, das es auch in Bayreuth Einwohner geht, denen es nicht ganz so gut geht.

Im Anschluß an diese Lesung ging es weiter mit einem Gespräch zwischen dem Autoren und den Zuhörern. Dabei erzählten die Anwesenden, inwieweit sie die Erfahrungen selbst schon mitgemacht haben. Unter dem Strich bliebe die Frage, warum nicht mehr Bürgerliche den Versuch eines Selbsttests wagen. Nicht weil wir es ihnen gönnen, sondern, weil es das Verständnis für die Probleme, die die Armut mit sich bringt, erhöht. Dadurch werden sicherlich einige Klischees neu überdacht, und es erhöht die Chance, das die Schere zwischen Arm und Reich kleiner wird. Zumindest die moralische.

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(Text: Hari Januschke)

 

 

Dieser Workshop fand am Mittwoch, 25. Juli 2018, auf dem Wohnungslosentreffen Freistatt 2018 ab 16:30 Uhr statt. Der Begriff „Ex-In“ steht für ehemalige Psychiatrie-Patienten, die mit ihren Erfahrungen anderen Patienten Hilfe anbieten. Dazu werden die ehemaligen Patienten vorher besonders geschult.

Hier folgt das Protokoll zum Workshop:


Wohnungslosentreffen 2018. Mittwoch, 25.07.2018. 16.30h-18.00h.  „–“
Haus Wegwende, Gute Stube, Freistatt
Referent: Björn-Stefan Schmiederer (Ex-In, Stövchen, Lüneburg)
Moderation: Hanne-Lore (Lüneburg)
Protokoll: Wiebke Koopmann


1. Vortrag über Ex-In-Genesungsbegleitung für psychisch Kranke in Lüneburg 


2. Diskussion:

  • Gesellschaftliche Ignoranz gegenüber Wohnungslosen als Problemlage

  • Bedarf?
    - besteht bei einigen Personen
    - sind Streetworker eine sinnvolle Alternative zu Patenschaften?
    - informelle Hilfe auf der Straße ist bereits gegeben
    - „Man weiß es selbst“: Austausch mit Gleichgesinnten ist oftmals offener und gewinnbringender als „professionelle“ Beratung durch „Theoretiker“

  • Konzept
    - Ex-Ins als Beratende bei Events und Veranstaltungen
      (z. Bsp. bei Festivals oder Wohnungslosentreffen)
    - Staatlich finanzierte Ex-Ins vs. Selbstorganisation durch Wohnungslose
      - Staatlich Finanzierte erhalten potentiell angemessene Vergütung
      - Fallstrick: Ex-Ins als Billiglohnkräfte (Sozialarbeiterstellen werden eingespart)
      - Selbstorganisation bedeutet Unabhängigkeit
      - Fallstrick: Vermutlich nicht angemessen finanzierbar

  • Herausforderung Vielfalt: Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind so divers, dass eine passende Patenschaft schwer zu finden ist
        Onlineportal mit Foren zu Problemschwerpunkten (wie ein Datingportal)

 

  

Mittwoch, den 25. Juli 2018, ab 16:30 Uhr, Seminarraum Haus Wegwende

Armutsnetzwerk

Am Mittwochnachmittag sprach Michael über das Armutsnetzwerk e.V.. Dieses hat sich zum Ziel gemacht, Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen.

Zunächst bot ein siebenminütiger Film von Norbert Brandt einen Einblick in die EMIN-Bustour, die auf seiner Reise durch Europa auch halt in Erfurt machte. EMIN ist eine Initiative, die sich unter anderem für die Einführung einer EU-weit einheitlichen Grundsicherung einsetzt. Bei dem Stop in Erfurt sprachen und diskutierten neben den Mitgliedern des Armutsnetzwerks auch Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Politik über Ansätze und Ideen, wie von Armut und Ausgrenzung betroffenen Menschen geholfen werden kann.

Im Anschluss an den Filmbeitrag erläuterte Michael die unterschiedlichen Aufgaben und Orte, in denen das Netzwerk aktiv ist. Dieses wurde 2012 in Sulingen gegründet und ist eines von 16 Mitgliedern der Nationalen Armutskonferenz (nak), einem bundesweiten Bündnis von Organisationen, Verbänden und Initiativen, das sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung einsetzt. Die NAK wiederum wurde 1991 als deutsche Sektion des EAPN (European Anti Poverty Network) ins Leben gerufen.

Diese Vernetzung auf deutscher und europäischer Ebene ermöglicht die Mitarbeit in unterschiedlichen Arbeitsgruppen oder die Positionierung und Einflussnahme durch gemeinsame Stellungnahmen. Außerdem gewährleistet es einen erweiterten Informationsfluss zwischen Organisationen, Institutionen und Betroffenen.

Neben ihrem Einsatz im ANW engagieren sich die meisten seiner Mitglieder zusätzlich unabhängig in eigenen Projekten. So ist Jürgen viel für das EAPN in Brüssel unterwegs, Werner organisiert Berliner Treffen und Hilde Gruppen für wohnungslose Frauen. Norbert hat zudem sein Projekt „Leben im Rucksack“, mit dem er an Schulen unterwegs ist und so mit jungen Menschen ins Gespräch über das Thema Wohnungslosigkeit kommt. Carsten bietet in seinem Keller einen frei zugänglichen, aber sicheren Speicherort für wichtige Dokumente von wohnungslosen Menschen an.

Im Plenum kam die Idee auf, ob es nicht möglich wäre, ähnlich wie bei EMIN, einen Bus auf Tour durch Europa zu schicken, um auf Wohnungslosigkeit aufmerksam zu machen und so für Öffentlichkeit und neue Kontakte zu sorgen. 

Text: Andreas

 

  

Am Mittwoch, den 25. Juli 2018 fand ab 11:00 Uhr ein Workshop mit Bibelarbeit statt, zu dem die Pastorin Johanna Will-Armstrong vom Vorstand der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel aus Bielefeld angereist war.


 25. Juli 2018 - 11:00-12:30 Uhr
Pastorin Johanna Will-Armstrong
Moderation: Werner Franke
Protokollant: Uwe Eger

 

Nachdenken über die biblische Jahreslosung 2018

Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Offenbarung 21,6 (letztes Buch der Bibel)

 

Kernpunkt

Wasser ist ein Geschenk Gottes

Wie gehen wir damit um

Grundrecht – Wasser für alle Menschen

 wichtige Punkte der Diskussion

Wasserverschmutzung

ungerechte Verteilung

Vielfältigkeit des Wassers

Lebensspender, aber auch tödliche Falle

 

Fazit der Gruppe

Wir alle müssen besser mit den Geschenken Gottes umgehen

Großkonzerne zur Rechenschaft ziehen

Politik massiv unter Druck setzen – weltweit, nicht nur für Wasser, auch Luft und Erdboden

 

 

Frauen Team Wohnungslosentreffen

Die Teilnehmerinnen des Frauen-Teams haben erreicht, dass der 21. 12. "Tag der wohnungslosen Frauen“ ist . Es finden Aktionen statt u.a. auch eine Unterschriftensammlung (750 Unterschriften).

Frauengruppe WLTreffen Freistatt 2018 25 Juli 1280x776px
Die Frauengruppe des Wohnungslosentreffens Freistatt 2018  Das rote X steht für: „Stop, bis hierhin und nicht weiter!“

Das Frauen-Team stellt darüber hinaus fest, dass es für sie erfahrungsgemäß gut ist, wenn die Frauen die Hilfe der Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden weiterhin annehmen. Um aber die Lösungen der Wohnungslosigkeit, der Finanzierung und der Einhaltung der Menschenrechte in Angriff zu nehmen, benötigen die wohnungslosen Frauen die Unterstützung der Kommunen (Städte und Gemeinden) mit ihren Frauenbeauftragten und den OberbürgermeisterInnen.


Fragen dazu:

  1. Was bieten Notunterkünfte in den einzelnen Städten speziell für Frauen an. Wer betreibt sie, wie sind die Nutzungsbestim-mungen für Frauen?

  2. Wie zeitnah kann die Stadt entsprechende Wohnungen zur Verfügung stellen?

  3. Wie kann die Stadt mit Hilfe der Wohnungslosen Frauen vor Ort ein Netzwerk aufbauen?

  4. Wie geht es ohne bürokratische Hürden, wenn Frauen keine Papiere oder Krankenversicherung usw. haben?

  5. Ist zu erwarten, dass die Kommunen erkennen, dass Handlungsbedarf besteht und eine Zusammenarbeit mit den NGOs für sie unverzichtbar ist ?

  6. Wie kann Wohnungslosigkeit vermieden werden ( z.B. keine Zwangsräumung ) und wie kann verhindert werden, dass Frauen in extremer Unsicherheit leben und in prekäre Situationen kommen ?

  7. Wie schafft es der Gesetzgeber, dass Frauen ein Dach über dem Kopf haben, dass ihnen unverzügliche Hilfe angeboten wird und dass sie ihre Würde behalten?

 Des weiteren gibt es die Möglickeit eine Petition zu starten oder zu klären, ob eine Sammelklage zum Menschenrecht auf Wohnen angestrebt wird.

Text: Hilde Rektorscheck
Foto: Frank Kruse

  

 

cEngelsdorfer Verlag Matthias Unterwegs Cover Ohne Obdach 160x256pxAm Mittwochvormittag las Matthias Unterwegs Teile aus seinem Buch „Ohne Obdach. Leben auf der Straße.“ vor. Er hatte sich dazu entschieden, freiwillig für zwei Monate das Leben wohnungsloser Menschen zu erfahren und zu teilen. So zog er mit seinem Rucksack und 20,- Euro Bargeld, aber ohne Telefon und Bankkarten los, zuerst durch Frankreich und dann durch Deutschland. Ihm fiel auf, dass im Vergleich zu Deutschland die Hilfen in Frankreich sehr niedrigschwellig waren, er z. Bsp. nie seinen Ausweis zeigen musste. Seinen Lebensunterhalt verdiente er in dieser Zeit mit Betteln, manchmal musizierte er auf seiner Mundharmonika. Besonders überrascht hat ihn, dass man vielen Menschen auf der Straße gar nicht ansieht, dass sie wohnungslos sind. Er möchte mit seinem Bericht auch darauf aufmerksam machen, Wohnungslosen mit mehr Interesse und Respekt zu begegnen.

Text: Nina Freymuth – 25.07.2018, 11.00-12.30 Uhr
Bild: (c) Engelsdorfer Verlag, Matthias Unterwegs, ohne-obdach.com

  

 

Die Tiny House-Bewegung kam aus den USA nach Deutschland: winzige Häuser zu bauen und so auf einer sehr begrenzten Quadratmeterzahl ein komplettes Haus zu haben. Die Bewegung wurde vor allem in der Mittelschicht gut aufgenommen, der es um sogenanntes Downsizing (Verkleinerung) und um bewussteres und nachhaltigeres Wohnen geht. An einigen Stellen in Deutschland wird diskutiert, ob Tiny Houses eine Lösung für Wohnungslose sein können. Hierzu hielt Paul Neupert, der bei der BAG-W als Referent arbeitet und seine Masterarbeit über Tiny Houses geschrieben hat, einen kritischen Vortrag.

In Seattle (USA) sind Tiny House-Siedlungen seit 2015 die Kernstrategie, um Wohnungslose unterzubringen. Allerdings scheinen nur 22% der dort wohnenden Menschen zurück auf den regulären Wohnungsmarkt zu kommen, zum Teil gibt es vor Ort keine Sozialarbeit oder Strom und Licht. In Deutschland stößt man schnell auf baurechtliche Schwierigkeiten, da Wohngebäude von der Baubehörde genehmigt werden müssen. Voraussetzung dazu ist z.B., dass der Standort an Wege und Wasser angeschlossen ist. Auf Campingplätzen und in Kleingartenanlagen darf offiziell nicht gewohnt werden; Dauerbewohner werden zwar geduldet, genießen jedoch keine Rechtssicherheit.

Diese fehlende Rechtssicherheit ist einer der Kritikpunkte an dem Konzept: Menschen, die in Tiny Houses wohnen, sind mietrechtlich nicht abgesichert, zudem werden baurechtliche Standards gesenkt, so dass weniger Schutz gegen Umwelteinflüsse wie Sturm besteht. Dazu kommt, dass der bisher errkämpfte Wohnstandard unterwandert wird. Die Lösung ist zwar temporär, wird aber meist doch zu einem Dauerzustand.

Für Familien sind Tiny Houses auf Grund der Größe keine Option. Die für Wohnungslose angedachten Tiny Houses sind noch einmal deutlich kleiner als sonst üblich. Entsprechende Siedlungen führen zu Ausgrenzung, Isolation, Ghettoisierung und Diskriminierung, dies trifft vor allem auch Kinder. Flächen werden durch viele Tiny Houses zersiedelt und haben dadurch auch längere Distanzen und mehr Verkehr zur Folge – nachhaltig wären sie so auch nicht mehr. In Innenstädten mit besonders großer Wohnungsnot sind Tiny Houses nicht möglich.

Schlechte Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen die Prekarität dieser Wohnform. Eine Struktur wie beispielsweise in den USA wäre schon deshalb nicht möglich, weil in Deutschland andere Grundvoraussetzungen (z.B. Recht auf ordnungsrechtliche Unterbringung, stärkere Mieterrechte und sozialer Wohnungsbau) bestehen.

In der Diskussion ging es vor allem darum, ob eine solche Lösung für Deutschland wünschenswert wäre. Die Meinungen dazu gingen auseinander: Einige zogen eine Parallele zur Tafelbewegung, die auch zunächst als Übergangslösung entstand, mittlerweile aber fest im System integriert ist. Andere wiederum sahen in Tiny Houses eine Chance. Zum Abschluss wurde noch einmal deutlich gemacht, dass die Entscheidung, in einem solchen Haus zu leben, den Menschen selbst überlassen werden muss.

Text: Nina Freymuth

 

 

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