Die Frage nach den Ursachen der Diskriminierung von Obdachlosen bringt uns zu einer Spur, die zurück auf den Nationalsozialismus führt.
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden Wohnungslose, Alkoholkranke und Wanderarbeiter als „Asoziale“ oder Kleinkriminelle als „Berufsverbrecher“ stigmatisiert, inhaftiert und ermordet. Unabhängig von der Verbüßung ihrer Strafe wurden Menschen, die damals bestehende Kriterien von Leistung und Moral nicht erfüllten, durch das NS-Regime geächtet. Im KZ trugen sie den lila Winkel.
Die Bundesregierung hat im April bekannt gegeben, dass sie eine Wanderausstellung zum Schicksal der Menschen, die im Nationalsozialismus als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ verfolgt wurden, fördert. Das Projekt wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg umgesetzt.
Die taz berichtete gestern von der Vertagung der Erinnerung an diese vergessenen Naziopfer
https://taz.de/Vergessene-Opfer-der-Nazis/!5768783&s=Kevin+Culina/
- Die Diskriminierung der Obdachlosen ist Stadtpolitik geblieben.
- Die Notunterkünfte sind so, dass sich die Untergebrachten darin nicht wohlfüllen sollen.
- Die feindselige Architektur signalisiert „verpisst Euch“: 20 Beispiele dafür, wie Städte das Problem des Biwakierens von Obdachlosen "gelöst" haben
https://www.curioctopus.de/read/30369/feindselige-architektur:-20-beispiele-dafur-wie-stadte-das-problem-des-biwakierens-von-obdachlosen-gelost-haben
In der Bundesrepublik war es die Protestbewegung der 60er Jahre, die begonnen hat, die Diskriminierung von Obdachlosen zu thematisieren. Ein Beispiel für das Niveau dieser Auseinandersetzung ist die Text von Dietrich Schwarz und Anselm Weidner zur sozialen Lage der Obdachlosen aus der Zeitschrift Kritische Justiz im Jahr 1970:
https://www.kj.nomos.de/fileadmin/kj/doc/1970/19704Schwarz_Weidner_S_406.pdf
In dieser Zeit entstanden viele Bücher, die dafür eintraten, die Gesellschaft so zu verändern, dass Armut und Obdachlosigkeit verschwinden.
- Lothar Gothe / Rainer Kippe: Ausschuss. Protokolle und Berichte aus der Arbeit mit entflohenen Fürsorgezöglingen. Kiepenheuer Witsch, Köln 1970
- Prodosh Aich / Otker Bujard: Soziale Arbeit. Beispiel Obdachlose. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1972
- Arbeitskreis Junger Kriminologen: Randgruppenarbeit. Analysen und Projekte aus der Arbeit mit Obdachlosen. Juventa Verlag, München 1973
- Ursula Christiansen: Obdachlos weil arm. Edition 2000, Gießen 1973
- Peter Höhmann: Wie Obdachlosigkeit gemacht wird. Luchterhand Verlag, Darmstadt 1976
Was ist geschehen, dass nach diesen Büchern im Jahr 2021 immer noch Obdachlose in Notunterkünften mit Mehrbettzimmer ohne Türen untergebracht werden?
Was muss geschehen, dass das endlich aufhört?
30. April 2021
Klaus Jünschke