Der 24. Dezember ist einer der seltsamsten Tage im Jahr. Vormittags sind alle Geschäfte rappelvoll, und die Menschen kaufen ein, als würde die Welt untergehen und es käme darauf an, so lange wie möglich durchzuhalten. Ab dem frühen Nachmittag sind dann nahezu alle verschwunden. Sie treffen sich in Wohnungen, in denen sie einen abgesägten Baum behängt haben, und veranstalten einen Warenaustausch ohne Geld, der aber viel Geld gekostet hat. Meistens sind es Menschen, die miteinander verwandt sind.
Menschen, die keine Wohnung haben oder kein Geld, können sehen, wo sie bleiben. Die Weihnachtsfeiern für arme und obdachlose Menschen, wie etwa die von Frank Zander, finden (fast) alle vor Weihnachten statt. Und auch die Geschäfte für bettelnde oder straßenzeitungsverkaufene Menschen gehen vor Weihnachten ganz gut, danach aber nicht mehr. An keinem anderen Tag im Jahr gibt es so viel Gewalt wie Weihnachten. Was also wünschen wir, wenn wir Frohe Feiertage wünschen?
Die Brüder Corey und Casey Wright haben die sozialromantische Jesus-Geschichte von Weihnachten in die heutige Zeit übersetzt. Das Little Home, in dem ein Kind zur Welt gekommen ist, hat ein Solarpanel auf dem Dach. Die Frau hat sich eben einen Kaffee-to-go geholt und der Mann macht offensichtlich ein Selfie, das er auf Facebook posten will. Der Typ draußen betreibt ökologische Landwirtschaft und checkt erstmal auf seinem Tablet, wo er hier gelandet ist. Und die drei Typen auf dem Segway-Rollern sind wahrscheinlich unter Tarif bezahlte Lieferanten des Online-Versandhändlers Amazon.
Nein, dies ist kein Plädoyer dafür, dass alles wieder so sein soll wie früher. Das geht schon allein deswegen nicht, weil es aufgrund des Klimawandels wahrscheinlich auf absehbare Zeit auch keinen Schneefall mehr zu dieser Jahreszeit geben wird. Die Klischees haben ausgedient, sie haben ihren Sinn verloren.
Was bleibt, ist ein sehr weitgehender Konsens darüber, dass es im deutschsprachigen Raum zweieinhalb freie Tage geben soll. Zweieinhalb freie Tage, an denen hoffentlich niemand aus der Wohnung geräumt wird, an denen keine böse Post von Gericht oder vom JobCenter zugestellt wird, an denen nicht gearbeitet werden muss, an denen vielleicht keine Fahrkartenkontrollen durchgeführt werden, an denen sich bestenfalls die Menschen gegenseitig in Ruhe lassen. Zweieinhalb Tage, an denen die Menschen, die auf der Straße sind, damit rechnen können, dass die anderen vielleicht ein wenig freundlicher sind als sonst. Die Feiertage als kleine Ruhepause in einer Welt, die am Abgrund taumelt. Eine Chance, einmal inne zu halten und zu sehen, wo wir gerade stehen.
Die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen kann auf ein großartiges Jahr 2019 zurück blicken. Das Wohnungslosentreffen 2019 in Herzogsägmühle - erstmalig an einem anderen Standort als in Freistatt - war ein großer Erfolg. An vielen Themen wurde gearbeitet, wie das Ergebnisprotokoll zeigt. Bereits zu Anfang des Jahres 2019 gab es Förderzusagen durch die Aktion Mensch und durch das niedersächsische Sozialministerium, so daß die Arbeit bis Anfang 2022 gesichert ist. Von den vielen Veranstaltungen waren sicher der Kirchentag in Dortmund, das Recht-Auf-Stadt-Forum in Hamburg, die Teilnahme an der EFWE-Tagung in Loccum, die Mitwirkung auf dem ERROR-Festival in Bratislava echte Höhepunkte. Die Liste der Veranstaltungen, an denen Menschen aus der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen mitmischten und ihre Anliegen zur Sprache brachten, ist lang. Für das Jahr 2020 sind schon viele weitere Veranstaltungen geplant und verabredet.
Ein weiterer Meilenstein war die Gründung eines eigenen Vereins der Selbstvertretung Anfang Oktober 2019 im Rahmen des Koordinierungstreffens. Damit verfügt die Selbstvertretung nun über eine eigene Rechtsform. Das beinhaltet die Chance einer wirklichen formalen und rechtlichen Unabhängigkeit, die in den nächsten Jahren entwickelt und ausgebaut wird. Das ist bei weitem kein Selbstzweck, sondern es geht darum, diese Gesellschaft nachhaltig zu verändern.
Eine Wohnung darf keine Ware sein. Eine Wohnung dient der Daseinsvorsorge. Es kann nicht angehen, dass Menschen, die keine Wohnung (mehr) haben, dauerhaft auf unzureichende und unzumutbare Kältehilfeangebote und zwangsgemeinschaftliche Notübernachtungen angewiesen sein sollen, ohne Perspektive auf Veränderung. Und es kann auch nicht sein, dass Menschen, die auf der Straße sind, lediglich diese Form von Hilfe angeboten bekommen. Es kann nicht angehen, dass Menschen aufgrund von Profitinteressen aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt werden. Es kann nicht angehen, dass Menschen auf der Straße von Ordnungskräften von ihren Schlafplätzen gewaltsam vertrieben werden. Das Menschenrecht auf Wohnung ist unteilbar, und die Selbstvertretung setzt sich dafür ein, dass Obdachlosigkeit und Wohnungsnot überwunden werden.
Aber das allein ist nicht alles: Die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen ist auch ein soziales Netzwerk, eine Gemeinschaft von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und füreinander da sind.
Lasst uns diese Zeit der Feiertage nutzen, um Grüße zu senden und um miteinander in Verbindung zu bleiben.
In diesem Sinne wünsche ich frohe Feiertage und einen guten Start in das neue Jahr 2020!
Stefan