Erlebnisbericht von der Reiselust in Bremen
Warum reisen von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen? Um von A nach B zu gelangen. Vorwiegend werden größere Städte anvisiert. Dort gibt es mehr Hilfsangebote. Aber auch die Anonymität ist gewährleistet. Doch gibt es auch angenehmeres Reisen.
Die Wohlstandsbürger erholen sich durch kostspielige Urlaube von den “Strapazen” des Arbeitslebens und Rentner verbringen die kalte Jahreszeit in wärmeren Gefilden.
Reisen und Urlaube haben sich zu einem lukrativen Geschäftszweig entwickelt. Häufig werden Reisemessen im großen Stil durchgeführt um für “die schönsten Wochen des Jahres” anzuregen und zu werben.
Seit mehr als 15 Jahren findet in der Hansestadt Bremen die Touristikmesse “Reiselust” statt. Erstmalig hatte die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen die Möglichkeit, sich seit 2017 mit einem Informationsstand regelmäßig zu präsentieren. So machten sich fünf Aktivist*innen der Selbstvertretung Uwe (Lüneburg), Lutz (Herzogsägmühle), Olaf (Freistatt), Dirk (Freistatt) und Werner (Berlin) vom 08.-10 November 2019 auf den Weg, um auf die Problematik von Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit aufmerksam zu machen.
Gespräche auf Augenhöhe
Anfänglich ignorierte der Besucherstrom unseren Infostand. Durch das Verteilen von Flyern nahm das Interesse jedoch zu. In der Summe ergaben sich viele interessante Gespräche auf Augenhöhe.
Unter anderem suchte ein älteres Ehepaar den Dialog mit uns. Ihr Sohn, mittlerweile 45 Jahre alt, ist durch das sogenannte bürgerliche Raster gefallen. In seiner Jugend kam er mit Drogen und Alkohol in Berührung. Er hatte die Ausbildung geschmissen und suchte Menschen in der “Szene”. Gesundheitliche Einschränkungen waren die Folge wie Schlaganfall Herzprobleme aber auch Willenlosigkeit. Mehrere Therapien waren erfolglos. Er wünscht sich ein Leben ohne Sucht zu führen. Doch er schafft es nicht. Traurigkeit und Resignation schwang in der Stimme der Erzählerin.
Crashkurs in Obdachlosigkeit
Angeboten wurde von der Selbstvertretung auch ein Crashkurs in Obdachlosigkeit. Bedingungen und Abläufe lagen zur Mitnahme auf einem DIN A4 Blatt im Regal unseres Standes aus. Interessierten wird unter Anleitung eines sachkundigen Vereinsmitgliedes die Möglichkeit gegeben Obdachlosigkeit für sich physisch und psychisch zu erfahren. Ein junger Mann, Mitarbeiter des Erlebnisbades Ronolulu aus dem Einzugsbereich von Bremen hat sich in der ausliegenden Liste eingetragen. In seinem Urlaub, Anfang 2020 möchte er einen Crashkurs belegen um wahrzunehmen wie ausgegrenzte Menschen in der Gesellschaft behandelt werden und wie man mit ihnen umgeht.
Langer Atem erforderlich
In der Folge ergaben sich weitere Gespräche und die Besucher konnten sich einen Einblick über den Tagesablauf Wohnungsloser verschaffen. Einige Standbesucher fanden es spannend, das es wohnungslosen und ehemals wohnungslosen Menschen gelungen ist sich zu organisieren, Treffen durchzuführen, und die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V. aufzubauen und weiterzuentwickeln.
Dennoch kristallisierte sich auf der Reiselust ein starker Kontrast heraus. Einerseits trifft man die sogenannten “Normalos” an und auf der anderen Seite die Menschen die am Rande der Gesellschaft leben müssen.
Kein Mensch ist gerne obdachlos. Für die Selbstvertretung der wohnungslosen Menschen ist das Ziel programmiert: Kämpfen für ein menschenwürdiges Leben und Begegnungen auf Augenhöhe mit allen Menschen hin zur Veränderung einer humanen Gesellschaft. Langer Atem ist erforderlich. Wir schaffen das!
Werner Franke
Mitglied der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.