20019 Augsburg Corinna

Am 24. Oktober fand in der diako Augsburg der Fachtag der Diakonie Bayern „Frischer Wind“ - Wohnungsnotfallhilfe in Bewegung statt. Es nahmen ca. 90 Personen aus den verschiedensten Einrichtungen in Bayern, der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen und dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. teil.

Die Geschäftsführerin des Fachverbandes der Evangelischen Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe Bayern, Heidi Ott, begrüßte alle Gäste und Referenten.

Die bayerische Staatsregierung hat sich im Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2018 – 2023 verpflichtet, die Unterstützung für obdachlose und wohnungslose Menschen weiter auszubauen und gemeinsam mit Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen das Unterstützungsnetz für Obdach- und Wohnungslose dichter zu knüpfen.

Ziel des Fachtages ist es, über derzeitige sozialpolitische Entwicklungen und verbandliche Positionen in Bayern zu informieren, aktuelle Forschungsergebnisse vorzustellen und die Verwirklichung sozialhilferechtlicher Ansprüche in Blick zu nehmen, um das Hilfesystem für Wohnungsnotfälle in Bayern gemeinsam, strukturell und flächendeckend weiterzuentwickeln.

Wohnungslosenhilfe seit den Fuggern 1521

Dr. Stefan Kiefer, 3. Bürgermeister und Sozialreferent der Stadt Augsburg, ging in seinem Eingangsstatement darauf ein, dass Augsburg schon seit mehr als 500 Jahren „Wohnungslosenhilfe“ anbietet. Schon seit 1521 besteht ein altes Wohnungslosenmodell mit der Fuggerei. Hier sind 140 Wohneinheiten für den symbolischen Preis von 1 Euro Miete im Jahr entstanden. Die einzigen Bedingungen die bis heute gelten sind Unbescholtenheit und die Angehörigkeit der katholischen Religion. Es gibt aber auch weitere Einrichtungen die teilweise aus dem 12. Jahrhundert sind.

In der heutigen Zeit ist die Wohnungslosenhilfe sehr gefordert und kann ihrem Auftrag nicht nachkommen. Es gibt keine (bezahlbare) Wohnungen für Menschen auf der Straße. Der Wohnungsbau ist zum Erliegen gekommen – insbesondere im geförderten Wohnungsbau. Für die Wohnungsbaugesellschaften lohnt es sich nicht mehr in den sozialen Wohnungsbau zu investieren, weil die Kosten zu hoch sind. Und wenn sie es doch tun, dann holen sie sich diese Investitionen auf dem freien Markt und erhöhen die Kosten bei nicht geförderten Wohnungen. So entsteht ein Kreislauf, der die Mieten immer weiter nach oben treibt.

Dr. Kiefer berichtet aber auch, dass sich in Augsburg was tut. So werden die Notfalleinrichtungen für Männer neu hergerichtet und es gibt neben dem Frauenhaus auch, als neue Errungenschaft, eine gesonderte Frauennotunterkunft

Stichtagserhebung - Aktionsplan

Carolina Trautner, Staatssekretärin und MdL im Bayerischen Ministerium für Arbeit, Familie und Soziales, geht auf die Stichtagserhebungen der Wohnungslosenhilfe ein. In Bayern fällt diese geringer aus als in den übrigen Bundesländern. Zum 30. Juni 2017 gab es offiziell nur 15500 Wohnungslose.

Es wurde ein runder Tisch zur Prävention von Obdachlosigkeit eingeführt in dem Kommunen, Kirche und die Freie Wohlfahrtspflege sich austauschen. Erste Ergebnisse sind im Sommer 2020 zu erwarten.

Ein Aktionsplan zur Hilfe gegen Obdachlosigkeit sieht den Ausbau von Koordinierungsstellen der Wohnungslosenhilfe sowie Beratungsstellen für Prävention in Bayern vor. https://www.stmas.bayern.de/wohnungslosenhilfe/index.php

Wohnraum - der nicht zur Verfügung steht

Der Präsident Michael Bammessel vom Diakonischen Werk Bayern ging auf die Wohnungslosenhilfe in Nürnberg ein. Die Notfallhilfe ist in einer gepflegten und gut aussehenden „Villa für alle“ untergebracht – ganz in der Nähe des DW. Aber auch hier gibt es immer wieder Probleme – Polizei und Notarzt sind sehr oft vor Ort. Deshalb muss etwas getan werden. Mit „Heile Welt“ Denken kommt man langfristig nicht weiter. Es muss Präventionsarbeit geleistet werden – was besonders schwierig ist wenn man auf Grund des Wohnungsmangels Wohnungs- und Obdachlose unterbringen muss. Eine Reintegration in eine Wohnung und damit in die Gesellschaft wird immer schwieriger je länger man auf der Straße gelebt hat. In diesen Fällen ist eine ambulante Begleitung notwendig, aber leider greift unser bestehendes System oftmals nicht wo es nötig wäre.

In Deutschland gibt es genügend Wohnraum. Dieser steht aber der Gesellschaft, dem Wohnungsbau und der Kommune nicht zur Verfügung, weil er Privateigentum ist und in vielen Fällen leer steht. Würde dieser Wohnraum der Gesellschaft zur Verfügung stehen müssten neue Wohnungen nicht gebaut werden. Deshalb sollten Kommunen und Wohnungslosenhilfe versuchen diesen vorhandenen leerstehenden Wohnraum zu akquirieren

Forschungsprojekt Entstehung, Verlauf und Struktur von Wohnungslosigkeit

Nach den Begrüßungsreden und Statements durch die Kommunalpolitik wurde von Jutta Henke, Geschäftsführerin GISS, das Ergebnis aus dem Forschungsprojekt „Entstehung, Verlauf und Struktur von Wohnungslosigkeit und Strategien zu ihrer Vermeidung und Behebung“ vorgestellt. Die Studie ist veröffentlicht im BMAS. www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Arbeitsmarkt/fb534-entstehung-verlauf-struktur-von-wohnungslosigkeit-und-strategien-zu-vermeidung-und-behebung.html

Ihr Fazit: Deutschland verfügt über viele gute Instrumente zur Vermeidung und Behebung von Wohnungslosigkeit – sie werden nur nicht immer genutzt.

Mit den Daten aus der Online-Erhebung war eine Schätzung zur Zahl der Wohnungslosen möglich. Danach lebten am Stichtag 31. Mai 2018 in Deutschland mindestens 337.000 Menschen ohne Wohnung. Dies entspricht der Bevölkerung einer Großstadt wie Bielefeld. Erhoben wurde die Zahl der ordnungsrechtlich Untergebrachten, der Geflüchteten mit Schutzstatus in kommunaler Unterbringung und die Zahl der bei Trägern der Wohlfahrtspflege untergebrachten und beratenen Menschen. Eine erhebliche Dunkelziffer bleibt: Menschen, die ohne Kontakt zu den Hilfesystemen bei Freunden und Bekannten untergekommen sind oder auf der Straße leben wurden nicht erfasst.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen am Wohnungsmarkt muss insbesondere die Prävention von Wohnungsverlusten verstärkt werden. In 85 % der Fälle sind Mietschulden der wesentliche Auslöser für einen Wohnungsverlust. Ein zweiter wesentlicher Grund sind gesundheitliche Probleme. Biografische Einschnitte und persönliche Krisen leiten Wohnkrisen oft ein. In 64 % der Fälle, die Präventionsstellen 2017 bekannt wurden, konnte die Wohnung gesichert werden. Ein Problem ist, dass die für Prävention zuständigen Stellen zu spät von einem drohenden Wohnungsverlust Kenntnis erhalten, ein zweites, dass ihnen in aller Regel die Ressourcen fehlen, um auch wiederholt aufsuchend arbeiten zu können. Wohnungsverluste ereignen sich deshalb oft an den Hilfesystemen vorbei. Besonders betroffen sind Alleinstehende.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass die betroffenen Menschen in aller Regel institutionelle Hilfe benötigen, um sich wieder mit Wohnraum zu versorgen. Aber nur eine Minderheit der Städte und Gemeinden verfügt über entsprechende Instrumente und Angebote. Selbst öffentlich geförderter Wohnraum gilt oft als nicht angemessen im Sinne der Sozialgesetze.

Während in den großen Städten oft differenzierte Hilfesysteme vorhanden sind, bleiben in der Fläche sichtbare „weiße Flecken“ - kreisfreie Städte und Kreise ohne jedes Angebot an Wohnungsnotfallhilfen. In 40 % der kreisfreien Städte und 61 % der Kreise gibt es über die gesetzlichen Pflichtaufgaben hinaus nur ein Basisangebot. Der Rechtsanspruch auf Hilfe nach § 67 SGB XII wird längst nicht überall eingelöst.

Fachstellenkonzept

Andreas Kurz, 1. Vorsitzender Diakonie Herzogsägmühle gGmbH, stellt unter dem Motto „Jetzt ist die Zeit! Zusammen für ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes Hilfeangebot für Menschen in Wohnungsnot“ einen 6 Punkte Plan vor.

Wir brauchen dringend bedarfsgerechte Unterstützungsangebote für Menschen in Wohnungsnot, damit die Not nicht zu wandern beginnt. Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit sind effektiv und effizient. Sie bilden den wirkungsvollsten Ansatzpunkt, um zum einen Wohnungsverluste zu verhindern und zum anderen als „thematischer Kristallisationspunkt“ weitere Unterstützungsangebote und Hilfestrukturen in den jeweiligen Regionen anzuregen.

Angesichts der dramatischen Situation auf dem Wohnungsmarkt in vielen Regionen Bayerns im Segment des preisgünstigen Wohnens sind der Erhalt bestehender Mietverhältnisse und die Verhinderung des Eintritts von Obdachlosigkeit ein immer wichtiger werdender Baustein zur Bekämpfung der Wohnungsnot in Bayern

Fachstellen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit sind für dieses Ziel die richtige fachliche Antwort. Der Fachverband Evangelische Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe in Bayern (FEWS) setzt sich aus diesem Grund für den flächendeckenden Ausbau von Fachstellen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit in Bayern ein. Er hat eine unabhängige wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, um die Effektivität und Effizienz der Fachstellen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit in Trägerschaft der Diakonie in Bayern zu analysieren. Die wissenschaftliche Studie wurde beim Institut für Praxisforschung und Evaluation der Evangelischen Hochschule Nürnberg in Auftrag gegeben.

  • Fachstellen arbeiten sehr effektiv: bei weit mehr als zwei Drittel der Ratsuchenden konnte die drohende Obdachlosigkeit abgewendet werden. In nur 5% aller untersuchten Fälle konnte die Einweisung in die Obdachlosenunterkunft bzw. der Eintritt von Wohnungslosigkeit nicht vermieden werden.
  • Fachstellen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit arbeiten höchst effizient: die acht bayerischen Landkreise, die eine Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit in Trägerschaft der Diakonie finanzieren, sparen durch die Arbeit der Fachstellen über zwei Millionen Euro pro Jahr.
  • Auch für Vermieter rechnet sich die Arbeit der Fachstellen: Vermieter können in vielen Fällen die Kosten einer Zwangsräumung (Gerichtskostenvorschuss, Anwaltskosten, Vorschuss für Gerichtsvollzieher und Spedition) sowie den Verlust durch Mietausfall ganz oder teilweise vermeiden.

Die Grundlage bildet ein Sechs-Punkte-Plan:

  1. Fachstellen flächendeckend ausbauen und kostendeckend finanzieren
    Wir brauche Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit. Diese müssen eine kostendeckende Finanzierung erhalten. Eine wissenschaftliche Studie belegt – jeder eingesetzte Euro zahlt sich drei- bis neunmal zurück!
  2. Fachstellen in eine überregionale Finanzierung einbinden
    Für effektive Arbeit und für eine Entlastung der Gemeinden und Städte muss die Finanzierung der Fachstellen durch Kreistagsbeschlüsse über die Kreisumlagen auf Kreisebene delegiert werden. Die ordnungsrechtliche Zuständigkeit im Falle der Unterbringung darf dabei kein Hinderungsgrund sein.
  3. Das Richtige tun und freie Träger mit dem Betrieb von Fachstellen beauftragen
    Ein entscheidendes Erfolgsmerkmal ist die aufsuchende Arbeit. Behörden und deren Mitarbeitende können auf diese Weise entlastet werden. Für die Verhinderung von Wohnungslosigkeit werden dadurch die bewährten Kräfte der Subsidiarität genutzt.
  4. Zur Vernetzung verpflichten
    Fachstellen arbeiten effizient durch ihre Vernetzung mit allen an drohender Wohnungslosigkeit beteiligten Akteuren. Dies muss unterstützt werden durch geeignete Maßnahmen zur Steigerung des Bekanntheitsgrades bei Behörden, Gerichten, Bürgern und Vermietenden
  5. Das vorhandene Hilfesystem effektiver nutzen
    Durch die sachgerechte Anwendung vorhandener rechtlicher Grundlagen lassen sich Wohnungslosigkeit und deren Folgekosten oftmals vermeiden. Ein wirksames Hilfesystem kann so zur vollen Wirksamkeit gebracht werden.
  6. Das vorhandene oder zu entwickelnde Wohnangebot effizienter nutzen
    Der soziale Wohnungsbau und die soziale Wohnraumvermittlung müssen durch enge Kooperationen mit öffentlichen und privaten Vermietenden gestützt und ausgebaut werden. Hierbei ist das Fachwissen von Fachstellen und deren einschlägigen Verbänden einzubinden.

Wenn Wohnungsverlust nicht verhindert werden kann, sind menschenwürdige und möglichst betreute Notunterkünfte vorzuhalten – damit die Not nicht zu wandern beginnt, sondern vor Ort geholfen werden kann. Menschen die ordnungsrechtlich untergebracht sind, benötigen soziale Beratung und Begleitung, damit sich ihre Lebenslagen und Schwierigkeiten nicht verfestigen und weiterführende Unterstützungsangebote erschlossen und vermittelt werden können. Zudem sind spezifische Angebote für Frauen vorzuhalten. Für kleinere Gemeinden ist das oftmals eine große Herausforderung. Hier können Zweckverbände und regionale Hilfeverbünde eine gute Möglichkeit bieten Hilfeangebote zu schaffen und vorzuhalten.

Rechtsansprüche wohnungsloser Menschen

Klare Worte findet der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Jörn Scheuermann, in seinem Impulsvortrag, „Wo kein Richter, da kein Urteil“. In München zeigt sich deutlich, dass Wohnprobleme keinesfalls vom freien Markt gelöst werden. Er ist die Ursache des Übels, nicht seine Lösung. "Wohnen ist ein Recht und kein Privileg. Aber wir haben daraus eine Ware gemacht", sagte er. Mit Verweis auf die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung empfiehlt er den Rückgriff auf die Gesellschaftstheorien von Karl Marx, der die zerstörerischen Konsequenzen eines Marktes ohne staatliche Regulierung beschreibt. Die Verfehlungen des Marktes kennt Scheuermann aus seiner täglichen Arbeit in der Wohnungslosenhilfe: Die Anzahl der Betroffenen hat rasant zugenommen. Lebten in den Notunterkünften und Clearinghäusern der Verbände im Jahr 2009 knapp 2500 Personen, so sind es heute bereits 9000, davon 1650 Kinder. Und auch der Weg aus der Obdachlosigkeit zurück in die eigene Wohnung gestaltet sich heute schwer: "Es ist fast unmöglich, Menschen nach einer Rehabilitierungsmaßnahme wieder auf den Mietmarkt zu bringen."

Von Wohnungslosigkeit bedrohte und betroffene, oft ordnungsrechtlich untergebrachte Menschen haben nach § 67 ff SGB XII einen Anspruch auf persönliche Beratung und Unterstützung. Voraussetzung ist, dass besondere soziale Schwierigkeiten vorliegen, Selbsthilfe nicht möglich ist und zumindest eine Verschlechterung der Lebenssituation verhindert werden kann. Viele anspruchsberechtigte Menschen wissen nicht, dass sie diesen sozialhilferechtlichen Anspruch haben. Oder sie sind nicht in der Lage, diesen Anspruch zu verfolgen und durchzusetzen.

Menschen in einem Wohnungsnotfall stellen in der Regel keine entsprechenden Anträge bei den zuständigen örtlichen Sozialhilfeträgern. Folglich werden auch keine Leistungen erbracht. Die von einer der schärfsten Formen von Armut betroffenen Menschen bleiben sich selbst überlassen, obwohl sie dringend auf die Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen wären. In der Folge verharren sie in den Einrichtungen der ordnungsrechtlichen Unterbringung der Gemeinde oder werden an die nächstgrößere Kommune verwiesen.

Die Verweildauer in ordnungsrechtlicher Unterbringung kann verkürzt, das Eintreten der Wohnungslosigkeit in vielen Fällen verhindert werden, wenn das Schnittstellenmanagement zwischen ordnungsrechtlich unterbringender Gemeinde, örtlichem Sozialhilfeträger und freier Wohlfahrtspflege gelingt.

26.10.2019, Pforzheim

Corinna Lenhart

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