Nr: 60 037 863
Selbstvertretung wohnungsloser Menschen – von der Idee zur Organisation.
Sachbericht 2019 für Auszahlung – Projekte:
1. Bitte stellen Sie kurz die bisherigen Inhalte Ihres Vorhabens dar (Kurzbeschreibung).
Das Projekt wurde ab März 2019 wie geplant durchgeführt und der Auftakt war ein Koordinierungstreffen, auf dem schwerpunktmäßig das Wohnungslosentreffen 2019 in Herzogsägmühle inhaltlich und organisatorisch vorbesprochen und geplant worden ist. Weitere Themen waren die Abstimmung der verschiedenen Termine, an denen Menschen aus der Selbstvertretung beteiligt oder aber eingeladen waren.
Das Wohnungslosentreffen 2019 in Herzogsägmühle, Bayern war deshalb eine Herausforderung, weil erstmalig das Treffen an einem anderen Ort als Freistatt, Niedersachsen durchgeführt wurde. Dazu gehörten eine Reihe organisatorischer Fragen. Zu diesem Zweck ist das Orga-Team mehrfach nach Herzogsägmühle gefahren, um sich mit den Verhältnissen vor Ort vertraut zu machen. Das Wohnungslosentreffen 2019 wurde auf einer Pressekonferenz zusammen mit dem Vorstandsmitglied von Bethel – Frau Dr. Will-Armstrong, der Geschäftsführerin des Bayerischen Fachverbandes Wohnungslosenhilfe, Frau Heidi Ott, einem Vertreter der Diakonie Oberbayern sowie von einem Selbstvertreter aus Herzogsägmühle, Lutz Schmidt, einer Selbstvertreterin des Frauennetzwerkes, Corinna Lenhart sowie dem Orga-Team vorgestellt.
Auf dem Wohnungslosentreffen selbst wurde das umfangreiche Programm mit anfangs sehr großer Beteiligung abgearbeitet, allerdings machte die erhebliche Hitze und die weiten Wege zum Veranstaltungsort den Teilnehmenden zu schaffen. Der große Rainer-Endisch-Saal hingegen war ein optimaler Ort für Plenum und größere Veranstaltungen.
Die Abschlusserklärung, die insgesamt 16 Punkte umfasst, dokumentiert, welche thematische Vielfalt auf dem Wohnungslosentreffen abgearbeitet wurde (siehe Anlage 1).
Jenseits von Wohnungslosentreffen 2019 und den Koordinierungstreffen im Frühjahr und Herbst 2019 wurde eine Vielzahl von Veranstaltungen von Menschen der Selbstvertretung besucht. Dabei wurden drei Tendenzen sichtbar: Erstens hat sich die Selbstvertretung stark in die Fachdiskussion der Wohnungslosenhilfe eingebracht (z.B. auf der Tagung des Niedersächsischen Fachverbandes der Wohnungslosenhilfe), zweitens gab es einige Veranstaltungen, die sich ganz allgemein an die interessierte Öffentlichkeit richteten (z.B. der Stand auf der Reisemesse Reiselust Bremen oder die Touristik in Bad Salzuflen), zum dritten gab es eine Reihe von Veranstaltungen zum internen Austausch (z.B. Arbeitswoche der Koordinierungsstelle, Fortbildung zum Thema Moderation). Eine vollständige Übersicht der Liste der Veranstaltungen, an denen Menschen aus der Selbstvertretung beteiligt waren, siehe Anlage 2).
Eine der selbst gestellten Aufgaben bestand darin, die Rechtsform der Selbstvertretung zu prüfen und in dieser Frage voranzukommen. Dazu gab es einen Workshop im Vorfeld des Wohnungstreffens, und auch auf dem Wohnungslosentreffen selbst wurde an der Fragestellung weiter gearbeitet. Nach dem Wohnungslosentreffen entstand die Einschätzung, das Anliegen jetzt zu konkretisieren, eine Vereinsgründung vorzubereiten und umzusetzen. Dazu gab es ein weiteres Vorbereitungstreffen, auf dem ein Entwurf der Satzung vorbereitet worden ist.
Die eigentliche Vereinsgründung fand am 09.10.2019 (Gründungsversammlung) im Rahmen eines Koordinierungstreffens statt. Der Notartermin zur Eintragung in das Vereinsregister fand am 25. Oktober 2019 statt, das Finanzamt Sulingen bescheinigte dem neu gegründeten Verein die Gemeinnützigkeit mit Schreiben vom 04.12.2019.
Alle hier genannten Veranstaltungen waren öffentlich ausgeschrieben, so daß alle Menschen aus der Selbstvertretung die Möglichkeit hatten, sich daran zu beteiligen.
2. Bitte stellen Sie Ihre angestrebte bzw. erreichte Zielgruppe Ihres Vorhabens dar
An der Zielgruppe hat sich nichts geändert. Ziel des Projekts ist es, wohnungslose bzw. ehemals wohnungslose Menschen bzw. Menschen in Wohnungsnot, die mitwirken wollen am Aufbau einer Selbstvertretung, aktiv mit einzubeziehen. Vor allem durch das Wohnungslosentreffen in Herzogsägmühle, Bayern, aber auch durch zahlreiche Veranstaltungen, die im gesamten deutschsprachigen Gebiet stattfanden, konnte dieses Ziel erreicht werden.
Insgesamt schätzen wir ein, dass die Vielzahl der Veranstaltungen dazu beigetragen hat, dass die Bekanntheit zugenommen hat. Um die Bekanntheit zu steigern, wurde ein Flyer mit Informationen zur Selbstvertretung erstellt, gedruckt und verteilt. Dieser Flyer wurde bei verschiedenen Veranstaltungen eingesetzt.
Außerdem wurde eine email Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! eingerichtet mit dem Ziel, eine Kontaktadresse anzubieten. Im Gäste- und Seminarhaus Wegwende wurden zwei Büros eingerichtet. Damit hat das Projekt eine gute organisatorische Basis, insbesondere bei Koordinierungstreffen und anderen Workshops, die in Freistatt stattfanden, konnte den Teilnehmenden auch ein Internetzugang und Computerarbeitsplätze angeboten werden.
3. Welche der gesetzten Ziele konnten bisher erreicht werden und wie gestaltete sich die konkrete Umsetzung (Methode)?
Wie bereits dargestellt, wurden innerhalb der Selbstvertretung sehr viele Themen besprochen und dazu Positionen erarbeitet, siehe dazu das Ergebnisprotokoll der Koordinierungstreffen sowie des Wohnungslosentreffens 2019 und weitere Texte auf der Homepage. Bei den Veranstaltungen konnten viele Menschen eingebunden werden.
Durch die Regelmäßigkeit der Veranstaltungen und auch durch gezielte Schulungsmaßnahmen – zum Beispiel das Moderationstrainigung – bekamen die Menschen aus der Selbstvertretung zunehmend mehr Übung, ihre Sichtweisen zu artikulieren, ihre Positionen zu entwickeln, im öffentlichen Raum oder bei Veranstaltungen vorzubringen und sich einer Diskussion zu stellen.
Intern war weiterhin wichtig, das Projekt gemeinsam im Plenum zu besprechen, alle zu Wort kommen zu lassen und alle einzubeziehen, soweit es möglich ist. Dabei wurden ganz unterschiedliche Kompetenzen sichtbar.
Es zeichnete sich dabei auch eine Art Arbeitsteilung ab. Einige Menschen aus der Selbstvertretung wirkten in Gremien und Arbeitsgruppen mit, in denen Positionen erarbeitet worden sind (z.B. Deutscher Verein: Überarbeitung der Handreichung zur Prävention von Wohnungsverlust), andere arbeiteten an Konzepten in Kooperation mit der Theaterwerkstatt Bethel, um Themen wohnungsloser Menschen in Form von Straßen bzw. Stehgreiftheater in die Öffentlichkeit zu bringen, wiederum andere hatten interesse, auf Informationsständen über die Arbeit der Selbstvertretung zu informieren.
Wichtiger Höhepunkt war der gemeinsame Stand auf dem Kirchentag in Dortmund mit der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Auf dem Stand war das Thema Wohnungsnot Schwerpunkt, und im Rahmen des Kirchentages gab es eine ganze Reihe von Gesprächen, die teilweise auch vorbereitet waren, zum Beispiel mit Kathrin Göring-Eckhart, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90 Die Grünen im Deutschen Bundestag und Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.
Ein weiteres wichtiges Ereignis war das Recht auf Stadt Forum im Mai 2019 in Hamburg. Hier ist es gelungen, Menschen aus der Selbstvertretung in Kontakt zu bringen mit Initiativen der Stadtpolitik, der Nachbarschaftsarbeit und des Engagement für bezahlbaren Wohnraum.
4. Gab es wesentliche Veränderungen im Rahmen der Projektdurchführung gegenüber der ursprünglichen Antragsstellung? Bitte nennen und stellen Sie die Gründe dar.
Nicht geplant war die Gründung eines Vereins. Gründe hierfür war das Bedürfnis der Teilnehmenden, eine konkrete Rechtsform einzurichten. Daraus resultieren eine Reihe weiterer Aufgaben, bei denen die Menschen aus der Selbstvertretung unterstützt werden müssen: Rechtliche und formale Fragen wie Gemeinnützigkeitsrecht, Vereinsregistereintragung, Einrichtung eine Kontos, Jahresberichte, Mitgliederversammlungen, Vorstandsarbeit, Erarbeitung einer Geschäftsordnung für den Vorstand und weiteres mehr.
In der Satzung ist festgelegt, dass nur wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen Vereinsmitglied werden können, damit soll sichergestellt werden, dass es keine Beeinflussung und Instrumentalisierung von außen geben soll, um die Glaubwürdigkeit des Anliegens zu unterstreichen. Nicht-wohnungslose Menschen können Fördermitglied werden mit eingeschränkten Rechten (vgl. Anlage 3: Satzung des Vereins Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.)
Die mit der Vereinsgründung verbundene Problematik besteht darin, dass die Aufgaben in Verbindung mit dem Verein den Blick auf viele politische Fragen verstellen können.
5. Wie viele Teilnehmer/Nutzer konnten Sie bisher mit Ihrem Vorhaben erreichen?
Rückblickend auf das Jahr 2019 kann festgehalten werden: Im Jahr 2019 ist es gelungen, insbesondere durch das Wohnungslosentreffen in Herzogsägmühle, den Kreis dem wohnungslosen bzw. ehemals wohnungslosen Menschen, die an einer Selbstvertretung mitarbeiten wollen, deutlich zu erweitern.
Durch die sehr große Beteiligung an Veranstaltungen dürfte die Bekanntheit des Projekt auch weiter zugenommen haben, insbesondere ist im vergangenen Jahr das Netz der persönlichen Kontakte zu Akteuren in der Wohnungslosenhilfe, in der Wissenschaft sowie in der Politik deutlich gestiegen, das wird unter anderem auch deutlich durch die steigende Zahl der Anfragen: Interviews oder Mitwirkung an Veranstaltungen.
6. Wie viele Teilnehmer/Nutzer wollen Sie noch erreichen?
Ziel des Projektes ist es, die Zahl der Teilnehmenden ständig auszuweiten. Dabei ist aber zu beachten, dass mit der Lebenlage Wohnungslosigkeit eine Reihe von Schwierigkeiten verbunden sind. Die Menschen, die wir ansprechen wollen, sind entweder auf der Straße und besuchen nur gelegentlich Einrichtungen, wo sie auch nur eventuell Zugang zu Internet und Computern haben, andere Menschen sind in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und auch dort ist es nicht selbstverständlich, einen solchen Zugang zu haben. Die Regelsätze von SGB II sind ebenfalls nicht ausreichend, um sich Kommunikationsmittel zu beschaffen, so daß viele Menschen mit veralterter unzuverlässiger Technik arbeiten müssen oder aber aufgrund von Prepaid-Karten häufig ihre Telefonnummer wechseln und dies nicht immer mitteilen. Ein weiteres Problem ist auch, dass es Menschen ohne Papiere gibt, die grundsätzlich Schwierigkeiten haben, Verträge abschließen zu können. Ein weiteres Hindernis sind bestehende Schulden.
Auch ist lange nicht gesagt, dass ein Mensch, der sich für das Netzwerk der Selbstvertretung interessiert, sich auch tatsächlich langfristig engagieren wird. Oftmals ist eine Teilnahme an einer Veranstaltung nur ein Baustein einer allgemeinen persönlichen Suchbewegung, wieder ein soziales Netzwerk aufzubauen.
Es muss auch selbstkritisch gesehen werden, dass interne Streitigkeiten und Konflikte, die immer wieder neu entstehen, für neu hinzu kommende Menschen eine Hürde darstellen, die abschreckend wirkt. Auf der anderen Seite wird von Teilnehmenden das Netzwerk durchaus auch als ein „soziales Zuhause“ gesehen und wahrgenommen.
Die Selbstvertretung hat auf dem Koordinierungstreffen bereits 2018 beschlossen, ein Deeskalationstrainigung durchzuführen, dieses ist für das Jahr 2020 geplant.
7. Welche Umsetzungsschritte planen Sie als nächstes geplant? Ein grober Ausblick wäre ausreichend
Für 2020 sind geplant, wieder ein Wohnungslosentreffen, diesmal in Nordrhein-Westfalen durchzuführen, sowie jeweils ein Koordinierungstreffen im Frühjahr und im Herbst. Die Arbeit soll in den Regionen auf- und ausgebaut werden (Treffen in Nord, Mitte und Süd), die Arbeit an Themen soll weiter geführt werden, auch das Frauennetzwerk plant weitere Treffen. Hinzu kommen bereits geplante Beteiligungen an Tagungen, Kongressen und Fachveranstaltungen.
Auch die Vereinsarbeit (Vorstandssitzungen, Mitgliederversammlungen, eigene Vereinsprojekte usw.) wird weiter entwickelt.
In Berlin ist eine Kundgebung zur „Nacht der Solidarität“ geplant (Obdachlosenzählung) und auch eine ganze Reihe weitere Veranstaltungen mit Mitwirkung von Menschen aus der Selbstvertretung sind bereits geplant.
Freistatt, 09.11.2020
Dr. Stefan Schneider unter Mitwirkung von Jürgen Schneider und Dirk Dymarski
- Anlage 1: Abschlusserklärung auf dem Wohnungslosentreffen 2019 in Herzogsägmühle
- Anlage 2: Liste der Veranstaltungen mit Beteiligung der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen
- Anlage 3: Satzung des Vereins Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.