Dokumentation der Fachtagung - Würde/Verletzung der Würde von wohnungslosen Menschen
Bericht in der Freistätter Online Zeitung https://wohnungslos.info/2021/03/wuerde-verletzung-der-wuerde-von-wohnungslosen-menschen/
Präsentation von Prof. Ralf Dr. Stoecker
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Zusammenfassung der Diskussion nach dem Vortrag von Ralf Stoecker
1. Verständnis von Menschenwürde
Ist sie unverlierbar oder verlierbar, ist sie gegeben oder muss sie erarbeitet werden?
Einerseits „unantastbar“, andererseits sprechen wir von „Würdeverletzungen“
→ Der Anspruch auf Achtung ist gegeben und unverlierbar. Aber dieser Anspruch kann missachtet werden.
2. Relevanz der Würdeidee
Der Gebrauch des Menschenwürdebegriffs ist problematisch, solange „meine Feinde“ ihn benutzen
Rechte müssen erkämpft werden
→ Ja, aber die Menschenwürde ist keine brave Idee, ihre Achtung muss erkämpft werden und wurde auch immer schon erkämpft.
3. Umsetzung der Menschenwürdeidee
Im Prinzip simpel. → ja, es geht darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen.
Dennoch ist die politische Umsetzung schwierig
Welche Würdeverletzung ist schlimmer? Angriff oder Bevormundung?
→ Wahrscheinlich die Bevormundung, weil sie demütigt. Es gibt also unterschiedliche Formen und Grade von Würdeverletzung.
Protokoll: Roland Kipke
Ergebnisse AG 1 Würde/Verletzung der Würde von wohnungslosen Menschen auf der Straße/im öffentlichen Raum
Im WS waren etwa ein Drittel wohnungslose Menschen und etwa zwei Drittel Menschen, die in Einrichtungen und Organisationen für Wohnungslose arbeiten. Wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen berichteten von Ihren Erfahrungen auf der Straße. Ihre Würde wurde/wird verletzt durch:
- Missachtung
- Grundsätzliches Misstrauen, Vorurteile
- Keinen Raum im öffentlichen Raum zu haben
- Keine Möglichkeiten für Hygiene und Körperpflege
- defensive/feindliche Architektur: Freiflächen, Sitzgelegenheiten werden so (um)gebaut, dass sie möglichst nicht von obdachlosen Menschen zum Verweilen oder Schlafen genutzt werden können.
Verletzung der Menschenwürde durch Behörden und Institutionen:
- Platzverweise, Vertreibung Räumungen durch Polizei und Ordnungsämter
- Stigmatisierung: „Man wird als Verbrecher abgestempelt“
- Ausweiskontrollen ohne Anlass
- Durchsuchung von Hab und Gut -ohne Grund und ohne Durchsuchungsbefehl
- Hab und Gut wird nicht geachtet, sondern vernichtet und entsorgt
- Notschlafstellen sind nur für eine begrenzte Zeit, es fehlen Angebote z.B. für junge Menschen ohne Bleibe
- Paternalistische Haltung von Behörden verbunden mit respektlosem Verhalten ggü. obdachlosen Menschen, wenig Unterstützung, lange Wartezeiten bis man z.B. seinen Tagessatz bekommt
Wie kann die Situation für Menschen auf der Straße verbessert werden?
- mehr WCs, Hygienemöglichkeiten
- Einrichtungen für obdachlose Menschen auch unter 21 Jahren
- Orte zum Ausruhen
- Schließfächer
- Briefkästen, zentrale Poststellen, Meldemöglichkeiten
- Kostenlose Bankkonten
- Achtung von Hab und Gut, keine Durchsuchung und Entsorgung
- Raum im öffentlichen Raum
- Aufmerksamkeit und Respekt statt Missachtung und Paternalismus
- Behandlung auf Augenhöhe
- Jeder Mensch ist gleichwertig. Menschen ohne Wohnung sind ein Teil der Gesellschaft und müssen geachtet werden.
- Wir sind eine Gemeinschaft und müssen uns die Frage stellen, wie wir mit Leid und Kummer umgehen und wie wir gegen Einsamkeit und Vereinzelung wirken wollen.
Protokoll: Daniela Radlbeck
Ergebnisse AG 2: Würde/Verletzung der Würde wohnungsloser Menschen in Wohnungslosenunterkünften
Danke an Arbeitsgruppe: mehrere Menschen, die in Unterkünften leben oder gelebt haben; Menschen, die Unterkünfte leiten bzw. dort arbeiten
Menschenunwürdige Zustände in Unterkünften
- Menschenunwürdige Zustände: Matratzen, die leben; keine sicheren WCs (v.a. für Frauen)
- FREMDBESTIMMUNG: Taschenkontrollen, Leibesvisitationen; keine Privatsphäre, Angst vor Gewalt; bei jedem Wetter halb 8 morgens die Unterkunft verlassen müssen; keine Tiere in Unterkunft („Was zu mir gehört, sollte ich mitnehmen dürfen“)
Wie geht würdevolle Unterbringung?
- Wichtigste Antwort: Einzelzimmer
- Aber auch: ganzjährige Hilfe, ganztägige Unterbringung
- Mitsprache, Miteinander gemeinsam organisieren, Hausordnung zusammen ausarbeiten
System / Struktur
- Was in den Unterkünften passiert, ist gewollt
- Idee von Roland Saurer: Basisorganisationen sollten Standards für Unterbringung auf Bundesebene artikulieren / Kampagne entwickeln
gez. Claudia Engelmann
Ergebnisse AG 3 Würde/Verletzung der Würde wohnungsloser Menschen in Verbänden, Behörden, Ämtern und Medien
Das Themengebiet dieser Arbeitsgruppe ist als sehr umfassend wahrgenommen worden, alleine die Diskussion der medialen Darstellung von Menschen die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind böte genug Inhalt für einen ganzen Fachtag. Entsprechend wurde die Diskussion weitestgehend offen geführt. Im initialen Input von Jürgen Schneider zum Thema „Würde/Verletzung der Würde wohnungsloser Menschen in Verbänden, Behörden, Ämtern und Medien“ machte er deutlich, dass es oft für betroffene Personen einen Zwiespalt gibt zwischen „Nutzen und Ausgenutzt werden“ von Sozialverbänden und anderen Institutionen. Denn eigentlich sollten und wollen ja diese Akteure als „Anwälte“ den Menschen zur Seite stehen, dies sieht aber in der Praxis oft anders aus und dient nicht selten auch einer gewissen Selbstdarstellung der Institutionen und Verbände.
Im weiteren Verlauf der Diskussion ging es dann vornehmlich um diverse Aspekte von (institutioneller) Macht und des Machtmissbrauchs seitens der Verbänden, Behörden, Ämtern. Da die Zusammensetzung der Teilnehmenden dieser Arbeitsgruppe sehr heterogen war, konnten diese Aspekte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, z.B. aus Betroffenenperspektive, aus Sicht der Wissenschaft, Vertreter*innen von Behörden, der Sozialen Arbeit etc.
Zu den Aspekten von Macht und Machtmissbrauch wurde beispielsweise die „Definitionsmacht der Fachkräfte“ kritisiert. Darunter wurde verstanden, dass z.B. eigene Aspirationen zum weiteren Leben dem Vorstellungen der Mitarbeitenden der Jobcenter oft widersprechen. Es steht dann „Autonomie der Menschen gegen institutionelle Macht der Behörde“, bei welchem die Betroffenen oft unterliegen. Ebenso sei „Paternalismus“ und der Gedanke der „Schuld“ seitens der Institutionen gegenüber den wohnungslosen Menschen immer wieder zu verzeichnen. Dies führe nicht selten zu abschätzenden Wahrnehmungen.
Zusammenfassend wurde kritisiert, dass durch die Verwaltungsmacht und institutionelle Diskriminierung nicht gemeinsam geklärt wird was die Menschen wollen und brauchen, sondern es würde bestimmt werden. Hierbei spielt ein gewisser „vorrausschauender Gehorsam“ der Sozialen Arbeit eine Rolle. Um mehr Augenhöhe zwischen den Menschen und den Institutionen herzustellen sei nach Jürgen Schneider der „Austausch und die Einbindung“ zentraler Baustein für eine Verbesserung der Situation für alle Beteiligte.
Protokoll: Sascha Facius
Ergebnisse AG 4 - Verletzung der Würde durch wohnungslose Menschen
AG4_-_Verletzung_der_Wuerde_durch_wohnungslose_Menschen.pdf
Dokumentation: Frank Kruse
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Eine Online-Veranstaltung der Koordinierungsstelle der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen mit
- Prof Dr. Ralf Stoecker, (Universität Bielefeld),
- Daniela Radlbeck (Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin),
- Dr. Claudia Engelmann (Deutsches Institut für Menschenrechte),
- Dr. Sascha Facius (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge)
- Frank Kruse (Stiftung Bethel, Wohnungslosenhilfe Freistatt)
sowie inhaltliche Inputs von
- Carsten Schwarzer (Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.)(Herzogsägmühle)
- Hanne-Lore Schuh (Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.)(Alt-Garge)
- Jürgen Schneider (Armutsnetzwerk e.V.)
- Maria Ziegler (Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.)(Berlin)
- Nicole Lindner (Wohnungslosenparlament in Gründung)
und weiteren Gästen und zahlreichen wohnungslosen und ehemals wohnungslosen Expert*innen zu verschiedenen Aspekten der Würde wohnungloser Menschen und menschen(un)würdigen Angeboten und Strukturen der Wohnungslosenhilfe
Datum und Zeit
Donnerstag, 25.03.2021, 16:00 - 18:00 Uhr MEZ Online
Inhalt & Thema
Auf diesem Online-Fachtag werden wir über Würde und Verletzungen der Würde sprechen. Zunächst hören wir eine Vortrag von Prof. Dr. Ralf Stoecker von der Universität Bielefeld zum Thema die Würde wohnungsloser Menschen mit anschließender Aussprache.
Danach werden in Arbeitsgruppen einige Aspekte dazu genauer beleuchtet. Dazu gehören: Würde auf der Straße und im öffentlichen Raum, Würde in Wohnungslosenunterkünften, Verbänden, Behörden, Ämtern und Medien aber auch Würde von wohnungslsoen Menschen selbst.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es am Anfang des Grundgesetzes. Verschleiert wird dabei aber, wie schwierig es unter bestimmten Lebensumständen sein kann, die eigene Würde zu bewahren.
Unantastbare Würde bedeutet allerdings auch, dass die Person hinter diesen Bedrängnissen trotz allem in ihrer Würde ungeschmälert ist, mit individuellen Rechten und Freiheiten. Wie das zusammenpassen könnte, gerade dort, wo der elementare Schutz eines Zuhauses fehlt, ist Gegenstand des Vortrags.
Prof. Dr. Ralf Stoecker
Veranstaltungshinweise
Die Veranstaltung ist kostenlos.
Wortbeiträge wohnungsloser und ehemals wohnungsloser Menschen haben Vorrang.
Wortbeiträge von Frauen haben Vorrang, wenn vorher Männer gesprochen haben.
Wortbeiträge von Menschen, die noch nicht gesagt haben, haben Vorrang vor Wortbeiträgen von Menschen, die bereits gesprochen haben.
Zugangsdaten
Zoom-Meeting beitreten https://us02web.zoom.us/j/85163846532
Meeting-ID: 851 6384 6532
Schnelleinwahl mobil +493056795800,,85163846532# Deutschland
Ablauf
15:45 Uhr Zoom offen
Teil 1 - Vortrag und Aussprache
16:00 Uhr Beginn: Begrüssung, Technische Hinweise, Einführung (Stefan Schneider, Berlin & Dirk Dymarski, Freistatt - Koordination Selbstvertretung)
16:10 Uhr Vortrag: Die Würde wohnungsloser Menschen (Prof. Dr. Ralf Stoecker, Universität Bielefeld)
16:40 Uhr Nachfragen und Aussprache
16:55 Uhr Kurzzusammenfassung der Diskussion (Dr. Roland Kipke, Universität Bielefeld)(angefragt)
Teil 2 - Arbeitsgruppen und Ergebnisse
17:00 Uhr Vorstellung der Arbeitsgruppen / Aufteilung in Arbeitsgruppen
17:10 Uhr Arbeitsgruppen
AG 1 Würde/Verletzung der Würde von wohnungslosen Menschen auf der Straße / im öffentlichen Raum
Moderation/ Ergebnissicherung: Daniela Radlbeck (Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin)
Input: Nicole Lindner (Wohnungslosenparlament in Gründung)
AG 2 Würde/Verletzung der Würde wohnungsloser Menschen in Wohnungslosenunterkünften
Moderation/ Ergebnissicherung: Claudia Engelmann (Deutsches Institut für Menschenrechte)
Input: Carsten Schwarzer (Selbstvertretung wohnungsloser Menschen)
Input: Maria Ziegler (Selbstvertretung wohnungsloser Menschen)
AG 3 Würde/Verletzung der Würde wohnungsloser Menschen in Verbänden, Behörden, Ämtern und Medien
Moderation/ Ergebnissicherung: Sascha Facius (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge)
Input: Jürgen Schneider (Armutsnetzwerk)
AG 4 Würde/Verletzung der Würde durch wohnungslose Menschen
Moderation/ Ergebnissicherung: Frank Kruse (Stiftung Bethel, Wohnungslosenhilfe Freistatt)
Berichterstattung: Hanne-Lore (Lüneburg, Alt-Garge)(Vorstandsmitglied Selbstvertretung)
17:40 Uhr Vorstellung der Ergebnisse der Arbeitsgruppen / Aussprache
18:00 Uhr Ende der Veranstaltung, Möglichkeit für allgemeine Hinweise
bis 19:00 Uhr Zoom bleibt offen für Hinweise, Informationen, Austausch
Abbildung: https://www.kalw.org/post/fight-continues-women-former-oakland-homeless-village#stream/0
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