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- "Freistatt - Woodstock im Moor"(noch nicht überarbeiteter) Entwurf Kapitel 1, 2, 4, 5

Vorbemerkung: Gut zwei Wochen nach dem Wohnungslosentreffen 2016 in Freistatt erreichte und folgender Beitrag eines Teilnehmers aus Frankfurt am Main, den ich an dieser Stelle gerne veröffentliche.
Stefan Schneider, Projektkoordinator

I. Einleitung: Christian Felbers düstere Prognosen

Sehr kurzfristig war es, dass ich davon erfuhr: Einen 30-Cent-Tee trinkend sass ich in jenem kleinen Cafe, als Christian vorbeikam und rief: "Hey hör mal, weißt du schon: Für Leute, die keine Wohnung haben, gibt es ein Feriencamp. Du bist doch auch so ein Campingfan, vielleicht interessiert dich das? Außerdem scheint das etwas Politisches zu sein, und du zeltest doch liebend gerne auf Politischen Camps?" Recht hatte er im Prinzip. Ich suchte im Internet und fand "Sommercamp Freistatt", das schon sehr bald starten sollte. Ich fand ein Programm, das mich teils erstaunte, und mir kamen etliche Fragen hoch.
Da will man Wohnungslosen aus ganz Deutschland die Möglichkeit bieten, eine Woche kostenlosen Urlaub zu verbringen, und will ihnen zusätzlich Infomöglichkeiten, Essen, Sport und Musik und Spiel bieten? Wie kommt man auf ein solches Projekt?
Ich erinnerte mich an die Radiosendung Fragne an den Autor mit dem Wiener Intellektuellen Christian Felber vom Frühsommer 2012: Als Folge der Eurorettung werde man auch in Deutschland und Österreich langsam den wirtschaftlichen Niedergang erleben, die Jobs würden weniger, die Sicherheit der Jobs würden geringer, die Arbeitslosigkeit würde steigen, DIE OBDACHLOSIGKEIT WÜRDE STEIGEN UND DAS KLIMA AUF DEN STRASSEN WERDE UNANGENEHMER. Sich in diesen Jahren mit wirtschaftlichne und politischen Entwicklungen zu beschäftigen, kommt manchmal einem intellektuellen Masochismus gleich. Ich beschloss, auf dieses Camp zu fahren und im Notfall, falls es zu wenige langweilige Leute wären oder die Aktivitäten zu langweilig wären, mich mit 3 Büchern bei guter Laune zu halten. (Auf dem Camp kam ich zu gar nichts.)
Ich erzählte Leuten aus Berlin der Chance, und die dortigen Wohnungslosen am Bahnhof Zoo zeigten sich interessiert, wollten aber wissen, wo sie ihre 3-4 großen Koffer unterbringen und wie sie die Hinfahrt bewerkstelligen konnten; nur zu gut wisse man, wenn man ohne Ticket fahre, werde man gleich erwischt und lande nicht auf einem Camp, sondern dank "Erschleichung öffentlicher Dienstleistungen" unverzüglich im Knasti, darauf hatten die keinen Bock. Emailnachfragen meinerseits über Reisemöglichkeiten verliefen schleppend. Angekündigt wurde ein Bus, der von Berlin-Köpenick am Sonntagmorgen und ca. 6 Leute mitnehmen wollte, jeder mit einer Tasche und nicht mehr.

Als ich schließlich ankam, wurde ich doch etwas erstaunt:
 
Die Idee dieses zunächst auf 3 Jahre angelegten Vorhabens wurde entwickelt von Jürgen Schneider vom Armutsnetzwerk, von Peter Szynka vom Diakonischen Werk in Niedersachen, Frank Kruse von der Wohnungslosenhilfe Bethel und Stefan Schneider, dem sozioloigsch promovierten Sozialwissenschaftler aus Berlin. Beantragt waren Mittel zur Finanzierung des Projekts worden bei der Aktion Mensch, beim Diakonischen Werk in Niedersachsen, beim Sozialministerium Niedersachsen und der Stiftung Bethel, einer Bodelschwingschen Stiftung. Stattfinden sollte das Ganze in Freistatt, ein Örtchen, das berüchtigt war für sozial schwache Fälle, insbesondere für junge Erwachsene, jugendliche Männer, die in dortige Heime abgeschoben wurden. Ein buntes Workshop-Programm versprach tatsächlich, den einen oder anderen Input sammeln zu können und auf die Beiträge und Kommunikationsstrukturen achten zu können, um das Ganze damit halb journalistisch, halb pseudo-wissenschaftlich begleiten zu können. Ein bißchen mulmig wird mir bei Erinnerung an Christian Felber und der Situation auf dem gegenwärtigen Wohnungsmarkt insbesondere in vielen Metropolen, wo viele Leute Schwierigkeiten haben, eine preisgünstige Wohnung zu finden. Es war nicht nur ein Sommercamp, es war der Start eines Projekts, fast eines Sozialexperiments. Ich versuche, soviel an Infos und Eindrücken festzuhalten - vielleicht wird das in ein oder zwei Jahren noch mal interessant werden, wenn man sieht, wie sich die ökonomische Situation mancher Bürger und der Wohnungsmarkt entwickelt hat.
 
77 Personen waren auf das Camp gekommen, 63 Männer, weniger als angemeldet. Der überwiegende Teil kam aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie aus weiteren orten in Deutschland, 11 Telnehmende kamen vom europäischen Netzwerk HoPe Vertreten waren die Länder Dänemark, Finnland, Irland, Österreich und die Niederlande.
Für diese eine Woche Camp inklusive der ganzne Hin- und Rückreisekosten der Teinehmenden, die möglichst vollständig übernommen wurden, wurden etwa 45.000 Euro eingeplant.
 
(Politisierung der Strukturlosen; "Big Brother" und das süsse Mäuschen; "Härte" in "Freistatt", von Drogen und Armut, Den Schlüssel zur Kirche hatte ich; das Woodstock im Moor)

II. Politisierung der Strukturlosen?

Aus ganz Deutschland sind Wohnungslose eingeladne, angemeldet haben sich fast 90, vor Ort zählt man ca. 80. In Berlin-Köpenick bietet die Plattengruppe eine kostenlose Busfahrt für 8 Leute an, 5 lassen sich registrieren, 3 fahren mit. Die Bethelstiftungen hat Gelder für 3 Sommercamps bewilligt, Zelte, Sanitäranlagen, 3 Mahlzeiten samt viel Wasser, Kaffee, Tee und Kuchen kostenfrei. Ei Großteil der Leute ist über 30, zumeist über 50, man kommt auch aus Dänemark und Wien. Die Obdachlosigkeit werde steigen, hatte Felber 2012 prognostiziert, und 2015 strömen Tausende von Kriegsflüchtigen nach Europa und polarisieren die bürgerliche Gesellschaft in angeblich rechtspopulistische Warner und in angeblich linksblinde "Refugee-Welcome"-Marktschreier. Ende Juli also fand in Freistatt Nähe Osnabrück ein historisches Ereighnis statt: 1 Woche komen Wohnungslose und sozila Schwache auf ein Feriencamp, u mkit Info-Workshopsund vielen Aktionsmöglichkeiten ihren Alltag und ihr Umfeld zu verändern.
Der Sonntagabend wird eröffnet mti der Rede von Stefan, dem Freistattbürgermeister, von Karsten, der für die Schreibwerkstatt schreiben will, sowie Frank Kruse. Der ndr und die taz haben sich angesagt, wollen große Reportagen schreiben und ein kleines Filmchen drehen, am liebsten ein Campmitglied über die Tage interviewen und begleiten. "Wir geben euch die Strukturen", so appelliert Frank Kruse nüchtern und verbal-händereichend an die Versammelten, "damit ihr euch vernetzen könnt, damit die Wohnungslosen nicht so allein ohne Lobbygruppen und individualistisch dastehen - was ihr machen wollt und daraus macht, das bleibt euch überlassen. Wir mischen uns nicht ein!"
Am Sonntagabend bittet bereits (..) Campaktive um Schreibarbeit. Die "Schreibwerkstatt" unter Karstens Leitung will täglich am Abend ein kleines Artikelchen an die Freistätter Onlinezeitung von "Wohnungslos-Infos" liefern, das können auch Gedichte oder andere Beiträge sein.
Der Montag startet mit einem Frühstück und einem Kennenlernspaziergang durch Freistatt. Derweil sehen die Älteren ein Filmchen vom Berberkongreß  von 1991, originalaufnahmen von Reden, Günter-Jauch-Kurzdokus sowie zdf-Magazinblicke. Die Gruppe diskutiert heftig über die Begriffe "Berber", Wohnungs- und Obdachlosigkeit, über die Nazi-Politik für Wohnungslose, über Gruppen von Wohnungslosen, die sich gegenseitig abgrenzen und sich damit selbst Ehre im Kosmos geben. Am Anfang steht die Frage, warum die jüngeren Campbewohner nicht mitdiskutieren, doch die genießen den kostenlosen Campurlaub in ihren eigenen Peer-Groups mit viel frisch beim Camp gekauftem Hasch.
 
Das Camp erinnert an die ATTAC-Sommerakademien mit festen zeiten, festen Strukturen und Info-Workshops. Die Rhetorik und Gruppenmoderation der Workshop-Teilnehmenden lässt von Satzformulierung, Wissen und Reflexionsfähigkeit keineswegs auf geistig abgestürzte Obdachlose schließen, egal ob sie seit 30 Jahren "Platt machen" oder in irgendwelchen Unterkünften Zimmerchen zugewiesen bekommen haben. Viele Leute lassen sich auf die Strukturen ein, die Mahlzeiten sind sättigend und bescheiden bis nahrhaft.

III. Von KenFM und "Härte" in "Freistatt"

Was bedeutet arm, so diskutieren die linken Weltverbesserer unter den Studenten nicht nur in Frankfurt? Wenig Geld haben? Nein, NICHT TEILHABEN zu können! Auch billiges Essen ist nicht recht und billig, sondern sehr ablehnenswert! Packt die schwachen und die starken Schüler zusammen, auf dass sie alle intellektuell glänzen mögen! Wer aber nix hat, wird ausgeschlossen, kann nicht mehr ins Freibad, nicht mehr in die Bibliothek, kann höchstens für 70 Euro die Woche kiffen. (Wahrscheinlich, der Autor kennt sich in dem Bereich ehrlicherweise zu wenig aus und bleibt naiv.) Ein Freund von mir bemerkte vor einigen Jahren: "Weißt du, das Schlimmste an dem Zustand ist nicht, dass du wenig Geld hast - da gehste halt zu Lidl und kaufst ein billiges Essen, das geht schon. Aber die Verachtung durch die Mitmenschen, das tut weh! Und wenn du in Mülleimern nach Pfandflaschen suchst, weil du dein Taschengeld aufbessern willst, dann gucken die anderen!" Wirst du wirklich immer ausgeschlossen - oder gibt es nicht Möglichkeiten, teilzuhaben an Aktionen, wo du ganz gleich welcher Voraussetzung du mit aktiven, netten Menschen zusammenkommen, akzeptabel nahrhaftes Esssen zu dir nehmen und Spass und Aktionen welcher Art auch immer genießen kannst? Mir schoß spontan eine Idee in den Kopf - und lernte die Lektion, dass man nicht Bälle unnötig so verschießen darf, dass der Ball mit voller Wucht gegen das eigene Schienbein zurückprallt.
Ja, da habe es doch Mitte Juni eine Aktion gegeben: eine Menschenkette für Frieden mit einem sehr günstigen Camp, das man unter Umständen sogar kostenlos hätte genießen können. Da treffe man Leute aus ganz Deutschland, Alter egal, Schulbildung egal, Reichtum egal, Alter egal, Knasterfahrung egal ... wichtig wäre nur: Interesse am Thema, das im Mittelpunkt des Camps steht, in dem Fall sich mit dem Thema Kriegseinsätze und ein Zeichen für Frieden setzen. Am Freitag fanden ganztags Workshops in der Versöhnungskirche von Kaiserslautern statt, dessen Höhepunkt Willy Wimmer und Albrecht Müller mit großen Reden bildeten, warum wir sehr aufpassen müssen, dass der Alltag nächste Tage aus anderen Gründen denn aus Wohnungslosigkeit durcheinandergewirbelt werden könnte, und am Samstag bildeten 5000 Menschen eine 12km lange Menschenkette, hielten sogar dem Reden stand, soviel Freude macht es, gemeinsam für Frieden zu werben. Du bist arm, Sonderschüler? Kein Problem! Du bist für Frieden? Super, mach mit! Raus aus dem Suppenschüssel-Kosmos der Scheidungsopfer und der BILD-Lese-Kasper. Doch als ich dies anführte als EIN Beispiel, da ging ein geschätzter Herr Kollege gleich mal hoch: Dieses Friedenscamp sei doch von dem Alternativjournalisten KenFM beworben worden! Er kenne den, der habe jahreslang Politsendungen auf RBB gemacht und sei dann aus sehr berechtigten Gründen gechasst worden, dieser rechte und schreckliche Typ! Wen der für etwas wirbt, dann solle man lieber bei der Suppenschüssel bleiben und nicht zur Friedensfahne greifen, soviel Ehre muss sein gegen die rechten Hetzer!
 
Im Prinzip war die Kritik richtig: KenFM war tatsächlich wegen einiger Kommentare gefeuert worden, manche Leute lehnen seine Interviews strikt ab, und er hatte das Friedenscamp beworben und sogar die Reden von Albrecht Müller und Willy Wimmer aufgezeichnet. Ich konnte nicht vollständig widersprechen. Ich war nur wütend, dass ich mich abgewatscht fühlte wie der Boote des halb-falsch Verleumdeten. Mich interessierte das Thema des Friedens, nicht der Journalist. Ich verlor tatsächlich die Geduld.
 
Doch es sollte noch härter kommen: Nachdem einige Campteilnehmer offenbar wegen Mißhandlungen usw. auf die Straße gekommen waren, bot ich an, den Film "Härte" von Rosa von Praumheim privat zu zeigen. Hintergrund ist auch der, dass der Protagonist Andreas Marqardt sich in Berlin für dortige Wohnungslose einsetzt und schon verschiedene Spenden-Aktionen veranstaltet hat, zudem Gewalt- und Mißbrauchsopfern helfen will, Ende September wird ein Großprojekt in Berlin-Neukölln mit Richtern, Polizisten, Lehrern, Psychologen usw. starten, wo er auf kriminelle Jugendliche zugeht, um sie von der Straße abzufangen. Als wir am Mittwochabend den Film sahen, waren ca. 8 Leutchen anwesend. Dank der Moderations-Hilfe von Frank Kruse ergab sich eine spannende Diskussion. Manche Frauen waren von den Darstellungen derart schockiert, dass ihnen die Worte für Fragen fehlten.

IV. Von Drogen

Am Donnerstag hielt Dr. Hoppe von der Fachklinik Bannen einen Workshop, der sichmit Drogen allgemein und mit Alkoholkrankheit im Besonderen befaßte, anwesend waren einige Mitglieder der Anonymen Alkoholiker. Die folgenden Notizen werden später zu einem Text geschrieben...
 
1,8 Millionen der 19-64jährigen sei
1,6 Millionen
2,3 Millionen suchtkrank an Medikamentenmißbrauch
5,6 Millionen Tabak-süchtig
319.000 Drogenabhängige in ganz Deutschland, hinzu kämen Glücksspielabhängige und Onlineabhängige
 
9,7 Liter Reinalkohol pro Kopf, ein großer Eimer
Frauen mehr als 12 g pro Tag, Männer 24 g pro Tag
 
g : ml mal Volin % geteilt durch 100 mal 0,8
Glas Sekt/Wein 9g
1/4 Karaffe Wein 22g
Flasche Rotwein 66g
Flachmann Wodka mit 100ml: 38g
Große Flasche bier 18,8g
330
 
Definition von Abhänigkeit: Verlangen/Zang, Verlust der Kontrollfähigkeit, Entzugserscheinung bei Stop, Toleranzerhöhung, Einengung, schädliche Folgen
 
Die positiven Wirkungen des Rausches, die Erblichkeit, die Verträglichkeit, die gelernte Verarbeitungsweise und seelische Konflikte, das Lernen von Umgang mit Sucht, die Familienrollen, die seelische Erregung durch die Neurotransmitter wie das Dopamin, Kinderdepression, ein 6fach erhöhtes Risiko bei depressiv erkrankten Eltern, die sozialen Rolen und der soziale Kontext.
 
kritische Jahremenge 4,4l bis 8,8l
tatsächliche Jahesmenge beim Durchschnittsmenschen bei 9l
 
Der Autor hat den Workshop nach etwa der Hälfte verlassen und damit möglicherweise die im Anschluss an die Powerpoint-Folie stattfindende Diskussion mit den anwesenden trockenen Alkoholikern verpaßt. Der Autor wollte beim Nachgespräch des dokumentarischen Spielfilms "Freistatt" sowie beim Besuch des berüchtigten Jugendheims dabei sein. Der Autor hätte sich von dem Workshop erhofft, welchen Zusammenhang Drogenkrankheit bei Armen und/oder Wohnungslosen spielt, auf welche Weise der Drogenkonsum in zum Verlust der Wohnung und zum Absturz in die Armut führen kann bzw. auf welche Weise den Betroffenen, die arm bzw. wohnungslos sind, Wege gezeigt werden können, aus der Situation herauszukommen. Da der Autor keinen Alkohol mag und deshalb in diesem Problembereich auf keine persönlichen Erfahrungen zurückgreifen kann, wäre es umso wichtiger gewesen, ein paar theoretische Anhaltspunkte geliefert zu bekommen. Der Autor ist deshalb von dem Workshop enttäuscht. Was die Statistiken und insbesondere die biochemische Wirkung von Alkohol und anderen Drogen angeht, hat der Autor schon im Workshop auf eine für den interessierten Laien sehr interessante Dokumentation von ARTE verwiesen, ein Fünfteiler über alle möglichen Drogenarten, ihre biochemische Wirkung, ihre "Opfer" und den Umgang damit:
 
https://www.youtube.com/watch?v=EcsVuJCsleM

Hier endet das Manuskript von Markus H.