Blickwinkel - Weitblick trifft auf […] Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen – Treffen 18.02.20, Gemeinsames Treffen mit Aktiven von der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen im Wendepunkt Salzstraße in Lüneburg.

Anwesend sind: Hasso, Hanne-Lore und Uwe von der Selbstvertretung und Walter*, Carla* und Alex* (Namen geändert) als weitere Gästinnen und Gäste, im späteren Verlauf kommt Stefan von der Selbstvertretung dazu.

1. Zusammenfassung: Situationsbeschreibung von Lüneburg im Zentrum

20200218 Weitblicker LueneburgLüneburg. Februar 2020. Im Februar haben sich Mitglieder der Selbstvertretung erstmals mit der Bildungsinitiative Weitblick Hannover e.V. für eine offene Fragerunde im Wohntreff Salzstraße in Lüneburg getroffen. Die Initiative, die sich für einen gerechten Zugang zu Bildung weltweit einsetzt, möchte mit der Selbstvertretung zusammenarbeiten und diese unterstützen. Dafür wollten sie sich ein genaueres Bild vom Verein sowie den Hintergründen von Wohnungslosigkeit machen, denn bislang lag ihr Fokus auf der Förderung von Projekten mit Kindern und Jugendlichen.

Die Gesprächsrunde hat nicht nur mit gesellschaftlichen Stigmata aufgeräumt, sondern sie hat auch dazu geführt, dass ein Missstand am Standort Lüneburg aufgedeckt wurde, der der Selbstvertretung bislang in diesem Ausmaß nicht bekannt war.

Lüneburg sei eine Hochburg für Suchtkranke. Darin sind sich die anwesenden Lüneburger*innen einig. Dies sei für das ungeschulte Auge nicht sichtbar, doch durchaus für jede*n Menschen, der schon einmal suchtkrank war, mehr als offensichtlich. Bei einem Spaziergang durch die Lüneburger Innenstadt seien überall Spritzen zu finden und jeder wisse an welcher Ecke er neue Drogen bekommen könne. Drogenpreise werden immer günstiger. Darüber berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland Ende 2019. Dem Zugrunde liegen Daten der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, die jährlich den sogenannten Reitox-Jahresbericht veröffentlichen. Das sehen auch die Lüneburger so. Das hänge alles mit der Konkurrenz der Substitutionstherapie zusammen.
Räumungen von Umschlagplätzen für illegale Drogen haben in der Vergangenheit wenig Veränderung gebracht, sondern nur Verlagerungen in andere Stadtgebiete. Das kann also nicht die Lösung sein.

Im Kampf gegen den illegalen Drogenkonsum gibt es seit den 1990er Jahren Methadonprogramme, die es auch in Lüneburg gibt in der Nähe des Hauptbahnhofs. Heroin und Methadon sind sich sehr ähnlich und machen beide hochgradig abhängig. Methadon ist jedoch durch die Suchtärzte für Abhängige auf legalem Wege zu bekommen. Der entscheidende Unterschied zum Heroin, die Betroffenen müssen die Substanz nicht selbst finanzieren. Der Entzug dauert jedoch wesentlich länger als von Heroin und der Kaltentzug von Methadon in Eigenregie führt häufig zum Tod.

Darüber hinaus kam es zu der Erkenntnis, dass die meisten Menschen, die sich in dieser Abhängigkeit befinden, bereits abgeschlossen haben mit ihrem Leben und für Angebote wie die Treffen und Aktionen der Selbstvertretung nicht mehr abgeholt oder angesprochen werden können. Das führt dazu, dass in Unterkünften wie der Herberge Lüneburg hochgradig abhängige und körperlich abgekämpfte Personen mit Menschen auf ein Zimmer gesteckt werden, die dadurch nicht eine ruhige Nacht erleben, da sich der Mitbewohner im Delirium eingenässt oder erbrochen hat.

Wir fordern längere Therapieangebote für Suchtkranke, die den Patienten*innen die Möglichkeit gibt nicht nur körperlich, sondern sich auch psychisch von der Abhängigkeit zu befreien. Wir fordern mehr Aufklärungsarbeit und Präventivprogramme für Jugendliche und Junge Erwachsene. Darüber hinaus müssen Treffpunkte ins Leben gerufen werden, die ein gesundes Umfeld für suchtfreie Wohnungslose schafft.

Die Arbeit der Selbstvertretung hat jedoch auch einigen Suchtkranken einen Ausweg geboten und ihnen mit der Arbeit im Verein eine neue intrinsisch motivierte Lebensaufgabe gegeben.

Alles in Allem wurden beim Treffen neue Kontakte geknüpft sowie Ideen generiert, wie Weitblick Hannover und die Selbstvertretung in Zukunft kooperieren könnten. Wir alle freuen uns auf die künftige Zusammenarbeit.

Text: Ellis Heimann

Quellen:

2. Suchterkrankung und Abhängigkeit in Lüneburg - das Gespräch

Nachfolgend ein Auszug aus dem rund dreistündigen (geglätteten) Interview. (Transkript auf Anfrage verfügbar.) Walter berichtet über seinen Alltag in der Herberge in Lüneburg. Er beschreibt die Lebenssituation vor Ort und spricht über die sperrliche „Einrichtung“ der Wohnungen.

Walter: Wie soll ich meine Ravioli kochen? Dann kam die Antwort, ja da können wir ja nichts für, dass die Junkies die Löffel zweckentfremden. Dort fehlen nicht nur Löffel sondern auch alles andere. Ich kenne auch keinen Junkie, der sich einen Schuss auf einer Gabel aufkocht. Oder in einer Füllkelle oder in einen Kochtopf. Das haben wir nämlich auch alles nicht. Und dann fühlen sich die Mitarbeiter*innen vor Ort richtig angegriffen. Und dann zeigen sie dir richtig ihre Meinung.
Uwe: Weil wir am falschen Platz geladen sind und das an der falschen Person auslassen und den Mund aufreißen. Diejenigen, die wir vor uns haben, die können meistens nichts dafür, dass es so ist. Die kriegen den ersten Sturm ab und dass die dann schonmal auf nein plädieren, das ist klar. Die Obrigkeit bleibt dadurch geschont. Zu uns kommen sie sowieso nicht. Wer zu uns will, muss sich telefonisch oder schriftlich anmelden. Und soweit kommst du eigentlich nicht. Und dass du heute bei einer Verantwortlichen warst, das war Zufall.
Walter: Das war Zufall, dass ich darein gekommen bin.
Stefan: So wie ihr das erzählt scheint es in Lüneburg ein riesiges Problem zu geben mit Heroin.
Alle: Au ja!
Hanne-Lore: Hier ist eine Suchthochburg.
Stefan: Und warum ist das so? Sind das die, die in Hamburg irgendwie vertrieben werden?
Hanne-Lore: Das kann schon sein.
Walter: Hier ist einmal ein riesiges Landeskrankenhaus und dann sind hier mehrere Therapiezentren. Außerdem bleiben hier zu viele Menschen aus anderen Städten hängen, wenn sie herkommen und ihre Therapie machen.
Hanne-Lore: Du musst mal morgens hier an den Bahnhof gehen zum Methadonprogramm. Das ist der Hammer.
Stefan: Genau das wäre ja jetzt die nächste Frage: Wir hatten ja damals als wir Straßenzeitung gemacht haben, hatten wir viele „Junkies“ und die waren alle irgendwie nicht glücklich den ganzen Tag der Kohle hinterherzulaufen für den Schuss oder sowas. Das hat ebenfalls damit zu tun, dass die Substanzen illegal ist. Die dann auch meist gestreckt sind, wenn sie gekauft werden. Da gab es dann immer so Versuche Räume einzurichten, in denen Abhängige sich in einem sauberen Umfeld den Schuss setzen können.
Hanne-Lore: Das gibt es hier auch am Bahnhof.
Walter: Das ist das allerletzte diese Substitution. Das ist das allerletzte. Da werden Menschen als Versuchskaninchen benutzt. Die kriegen dann so Pillen wie Subotex und dann kommen die hey jetzt probieren wir nochmal was anderes. Fragen Sie mal jemanden, der auf Methadon war. Es ist schwerer von Methadon wegzukommen als vom Heroin. Die machen da richtig Asche mit. Die reiben sich richtig die Hände. Das ist keine Hilfe. Das ist die Leute noch weiter heruntermachen. Und dann kommen sie mit dem Fuck-Argument. Ja die Beschaffungskriminalität hat nachgelassen. Nee hat sie auch nicht. Heroin ist so billig geworden. Das kriegst du überall hinterhergepfeffert.
Stefan: Heroin ist billiger geworden?
Alle im Chor: Ja!
Walter: Du kannst hier losgehen und kannst für einen Zehner an der Ecke schießen.
Stefan: Ist das so?
Walter: Ja aber Holla. Nicht nur Heroin, Kokain, Amphetamin. Weißt du wie das bei uns abläuft in der Herberge? Da kommt der Sozialarbeiter. Da liegt der Spiegel auf dem Tisch mit dem Amphetamin drauf. Dann nimmt der Sozialarbeiter ein Röhrchen [ahmt das schnief geräusch nach], zieht sich erst einmal ne Nase und sagt ey das ist aber geiler Stoff. Was kosten der? Und wir müssen ja mal was gegen dein Drogenproblem machen. Ich hab gedacht ich beiß in den Tisch. Das nennt sich dann Sozialarbeiter. Aber sowas mag man auch nicht erzählen, weil man die nicht angreifen will. Ich möchte diesen Mann nicht angreifen.
Stefan: Dann müssen ja die Preise in den letzten Jahren echt erheblich gesunken sein.
Uwe: Absolut. Das ist ein absoluter Spottpreis. Vorher hatte die Drogenlobby das Monopol. Und jetzt hat es Ratiopharm übernommen.
Stefan: Das verstehe ich nicht.
Uwe: Das sind billigere Preise.
Hanne-Lore: Ja
Uwe: Da kannst du zwar zu Apotheke gehen und zum Arzt.
Stefan: Und das ist dann Heroin-ähnlich?
Uwe: Ja ein Ersatz.
Ellis: Methadon ist ja die chemische Droge, der chemische Ersatz, die genutzt wird, um Leute von Heroin herunterzukriegen, der aber trotzdem hochgradig abhängig macht.
Uwe: Runterzukriegen. Aber du machst ihn methadonsüchtig. Das ist tausendmal schlimmer wie wenn du auf H bist. Richtig drauf. Dann brauchst du acht Tage bis du richtig runterkommst. Bist du auf Methadon. Die ersten vier bis sechs Wochen hast du gar keine Lust aus dem Bett zu gehen zum scheißen. Das ist ratiopharm. Das ist geduldet in Deutschland.
Walter: Wenn du Bock hast, musst du mal versuchen einen Beipackzettel von Methadon oder Polamidol zu kriegen. Das ist ein Beipackzettel. Der ist vier DinA4 Seiten.
Hanne-Lore: Das ist eine Katastrophe.
Walter: Davon sind drei DinA4 Seiten nur Nebenwirkungen. Dass das Zeug deinen Körper kaputt macht bis du nicht mehr kannst.
Hanne-Lore: Subotex zum Beispiel. Da drehen die Leute richtig durch. Das vertragen die wenigsten. Die meisten werden auch aggresiv. Aggressionen und was da abgeht ist unglaublich. Und für mich ist das einfach den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Das ist totaler Scheidreck was da abläuft. Und du kommst nie runter von der Sucht. Du wirst schön gehalten.
Walter: Du kommst doch da nicht raus. Du musst jeden Tag wieder in die Szene rein, weil du dir ja deinen Schluck abholen musst. Und jeden Tag hast du wieder das Ganze mit den drogensüchtigen um dich. Und dann werden die Pillen verscherbelt. Ey brauchst du Subo? Kostet vier Euro. Damit wird dann die Kohle gemacht, damit man sich davon ein Bier kaufen kann. Dann werden die Pillen wieder illegal verschoben.
Stefan: Ich kenne das von früher, dass Leute, die früher auf Methadon waren auch mit Methadon gehandelt haben. Aber wenn sich das so verschoben hat, dass die Preise im Keller sind erstens und das habe ich verstanden. Ihr sagt also das ratiopharm das ist der Oberbegriff. Die Firma hat Stoffe auf den Markt gebracht, die sehr ähnlich sind.
Walter: Ja.
Hanne-Lore: Nicht nur Ratiofarm. Viele sind dann hinterhergezogen. Das ist ein Oberbegriff.
Stefan: Das heißt dann du gehst zum Arzt und sagst du hast starke Schmerzen, dann kriegst du das Zeugs?
Alle: Ja!
Walter: Dann wirst du überwiesen an den Arzt für Suchtkranken, der dafür zugelassen ist. Das ist hier Frau Dr. Schxxx.
Uwe: Das macht auch jeder Arzt.
Walter: Ne die schickt dich dahin.
Uwe: Bei dem andere Arzt kriege ich alles.
Hanne-Lore: Aber du bist Schmerzpatient. Du bist offiziell ein Schmerzpatient.
Stefan: Und wieso würdest du dir solche Tabletten reinpfeifen?
Uwe schnaubt.
Stefan: Nein du nicht mehr.
Uwe: Ich hab das früher auch gemacht. Ich kann dir hier noch die Narben zeigen vom letzten Mal ne Überdosis. Die Tabletten soll man eigentlich nehmen, aber ich hab früher gefixt. Und wie die auf den Markt kamen und dann habe ich mir die halt warm gemacht und beim zweiten Druck war ich weg. Ja so mit Herzstrom das hat nicht gereicht. Dann Spritze ins Herz. Und jetzt bin ich wieder da. So nach dem vierten Mal habe ich gesagt: Leute ich höre jetzt auf damit. Ich wollte mich nie umbringen, aber es ist passiert.
Stefan: Und die Leute, die das machen, wo du sagst sie sind in der Unterbringung, die machen das deswegen, weil die sich sozusagen [klopft auf Holz] weil die einfach nur noch das Interesse haben…
Uwe: Nur nur noch. Weg von allem Scheiß. Zuballern zuballern. Morgens schon zuballern.Zurauchen. Morgens ganz locker einen Joint rauchen oder ein Bier, aber morgen schon subotex rein.
Hanne-Lore: Das ist wie in einer Parallelwelt.
Uwe: Mittags um zwölf noch eine Rohybnol es geht ja auf den Abend zu. Das hat sich so umgestellt, dass geht aber immer noch um diese Machtmonopole, die Heroin und Kokain was auch alles so in dieser Welt rumläuft. Die wollten sich das auch nicht abfangen lassen von irgendwelchen Konzernen wie ratiopharm. Beide verdienen sie dran das sie das eine verbieten dann können wir da noch eine Markt hochhalten. Das ist nur eine Spielerei mit Suchtkranken. Sonst nichts. Geldverdienerei und Spielerei. Was mit dem Mensch passiert, das interessiert keine Sau. Es zwingt sie keiner dazu das zu nehmen.
Walter: Die meisten Menschen sehen es nicht. Wenn wir mal eben spazieren gehen. Wir können hier vorne anfangen, dann gehen wir beide mal spazieren, dann zeige ich ich dir das . Dann siehst du überall die Tablettenverpackungen, wenn du genauer hinguckst. Du guckst in eine Ecke, da liegen dann die Spritzen rum. Überall liegen die kleinen Klemmbeutel-Tütchen rum hier in ganz Lüneburg. Wir können mal eine Runde gehen. Ich habe mit meiner Tochter hier, die eine Arbeit gemacht hat darüber. Die ist hier auf einer Waldorf-Schule. Da haben sie gesagt das können sie nicht veröffentlichen das sei zu hart. Überall an den Schulhöfen haben wir spritzen gefunden. Hier die Rauschgiftspritze Klarmatplatz das ist direkt neben der Schule. Das kriegen die seit zehn Jahren nicht in den Griff diese Szene da zu verlagern.
Uwe: Ja wo sollen sie es denn hinverlagern?
Walter: Dann müssen sie Räumlichkeiten schaffen für sowas.
Stefan: Naja ich komme aus Berlin und du bist ja auch in Berlin da war es lange Zeit so, dass z.B. am Zoo die Szene, wenn die in die Spichernstraße verlagert wurde. Dann haben sie nach zwei Jahren rausgefunden oh da ist eine Szene, dann haben sie da Razzien gemacht. Dann sind sie wieder hochgewandert zur Turmstraße. Und dann ist da die Szene. Die waren nicht wegzukriegen. Kotti. Ständig. Verlagert sich mal zum Görlitzer Bahnhof. Also offenbar ist es nicht möglich diese Szene tatsächlich wegzukriegen.
Alle: Nein.
Uwe: In keiner Stadt. Nirgendwo. Du kannst sie kurzfristig verbannen, aber dann suchen sie sich den nächsten Park.
Hasso: Die kriegst du nicht weg. In Berlin können sie es trotz vieler Polizisten nicht trockenlegen.
Stefan: Ne können sie nicht. Und die Leute sind dann Süchtige, die dann obdachlos werden oder sind das obdachlose, die dann süchtig werden?
Alle: beides.
Stefan: Also ich glaube, wenn sich jemand zudröhnt, dann – das hast du ja auch beschrieben mit den Leuten die saufen –, dass du dann an die Leute nicht mehr rankommst. Und wenn du jetzt sagst, dass die sich mit Tabletten dichtmachen und nur so abschalten, dann würden die sich für einen Treffpunkt auch nicht mehr interessieren.
Uwe: Das Thema ist dann durch.
Ellis: Das sind dann die, die man in der Herberge trifft, die komplett aufgegeben haben die nicht mehr hochkommen.
Uwe: Die wollen auch gar nicht mehr.
Ellis: Ohne Hilfe kommen die da sowieso nicht mehr raus und sind meistens schon so tief drin, dass sie eigentlich nur noch „gehen“.
Walter: Als ich aufgehört habe mit Heroin, das ist dreißig Jahre her als ich mir meinen letzten Druck gemacht habe. Da musste ich mich von Uelzen in den Zug setzen nach Kiel fahren, denn in Kiel war ein Arzt, der dann ich komme gar nicht mehr auf den Namen der Tabletten das war ein Hustenmedikament ein Kodein Medikament. Da musste man 20 Tabletten auf einmal nehmen, damit der Affe weggeht. Und seitdem diese Substitution. Hier gehen kleine Kinder, die sind gerade mal 18 Jahre hin und sagen ich hab ein Problem und dann kriegen sie das Problem, weil dann gehen sie in die Substitution und dann werden sie erst einmal richtig zugedröhnt. Weil gibt’s ja jeden Tag und das umsonst. Und die Ärzte reiben sich dafür natürlich die Hände, weil du jeden Tag in Behandlung bist. Und das lassen die sich sehr gut bezahlen. Ich möchte nicht wissen was die Krankenkassen dafür bezahlen müssen was so eine Substitution kostet.
Stefan: Ich frag nochmal nach. Das sind Leute, die auf diesen Drogen sind. Waren die vorhe hier (im Treff) und haben gesagt ich halte es hier nicht mehr aus oder sind die hier erst gar nicht hergekommen?
Uwe/Walter: Teils teils.
Uwe: Einige waren hier. Andere haben es auch hier nicht geschafft. Einige haben es geschafft. So wie ich. Und ein Teil ist auch wieder abgesprungen und denen ist das hier schon zuviel, dass sie sehen die Leute wollen auch helfen, aber ihnen sind die Hände gebunden oder die Mittel gestrichen. Oder sie können auch nur sagen: Mehr können wir nicht machen. In der Herberge oder wir melden dich da an bei dem Vermieter, aber da können wir gleich schon sagen, die nächsten Zwei Jahre sieht das schlecht aus und ist nichts frei. Das ist unterschiedlich. Einigen hat es geholfen, aber dem Großteil nein.
Walter: Den größten Fehler, den sie machen in der Substituion ist, dass sie alle über einen Kamm scheren. Wenn du dahinkommst und sagst du hast ein Problem mit Heroin, dann verlangen sie von dir totale Abstinenz. Das heißt du darfst kein Bier mehr trinken du solltest am besten noch aufhören zu rauchen und wehe du rauchst mal einen Joint, wobei dein größtes Problem ja eigentlich das Heroin ist und die dich einfach in Ruhe lassen sollen. Jeder Mensch geht vielleicht irgendwann mal ein Bier trinken, deshalb ist er nicht gleich ein Alkoholkranker. Und genau den Fehler machen sie. Die ziehen alle über einen Kamm. Das kann nicht klappen. Nur solange wie die Kohle fließt und die Krankenkassen zahlen, solange wird sich da nichts ändern. Solange die Junkies nicht auf die Straße gehen und demonstrieren – was wir nie erleben werden – weil die zu schäbig zu kaputt sind, um überhaupt noch irgendwas dazu zu setzen. Die sind alle durch. Zu 99 % sind sie durch. Du kannst sie nicht ballen oder bündeln und sagen wir sind eine Schlagkraft. Ich bin genug durch Deutschland gereist. Ich war unter vielen Brücken, an Bahnhöfen, ich kenne mich aus. Versuch mal nur einen hochzukriegen. Nur einen. Das wäre deprimierend so fertig sind die Menschen die können nicht mehr die wollen nicht mehr. Zu oft belogen zu oft reingefallen den Rest haben sie sich dann selbst gegeben. Den Rest das wird dann nach vorne gespielt: Selbst Schuld.
Hasso: Dir Stefan empfehle ich nur mal in Hannover das meggi anzugucken oder den Nordstadttreff in Hainholz. Ich verkehre dort absolut nicht, weil dann landest du automatisch in dem Drogensuff, weil es kann nicht sein, an beiden Position dass für ca 120 Besucher*innen. Das ist schon recht viel. Von diesen Leuten sind die meisten wirklich total fertig. Wegen ihrem Alkohol ich trinke auch gerne mal ein Bier abends aber so nein. Aber diese beiden Treffs solltest du dir angucken dann weißt du darüber Bescheid.
Hanne-Lore: Das Problem ist bei Heroin. Bei seinem Hilferuf setzt er sich gleich einen Schuss. Diese Situation wirst du auch haben. Deswegen hab ich das immer so empfunden, ich weiß nicht ob ich damit richtig liege, dass man sie dann nimmt und weg. Erstmal Entzug. Richtig knallharter Entzug. Und dann muss aber ich hab damals einen Kaltentzug gemacht ich hab ein dreiviertel Jahr gebraucht bis ich wieder normal denken schreiben und lesen konnte. Das war alles weg nach dem Entzug. Ich wusste nicht mehr wie ich heiße. Ich wusste nicht mehr wie alt ich bin nichts. Ich habe kaltentzogen muss ich dazu sagen. Wirklich ohne alles und das war tödlich. Mein Hausarzt damals hatte das gefilmt mit einer Super 8 Kamera und hat mir das gezeigt wie ich dastand und mich schier umgebracht habe. Die Schmerzen. Das kann man nicht beschreiben. Das ist ein Höllentrip, den man da mitmacht. Aber anschließend das war das faszinierende. Als ich das erste Mal wieder aus der Haustür bin, bin ich wie von einem Magnet angezogen worden von der Szene. Direkt wurde ich daraufhin gezogen. Ich konnte gar nicht anders. Das war ein richtiger Automatismus. Selbst nach dieser Zeit und damals hat mir jemand auf die Schulter geklopft und hat gesagt gehst du mit mir einen Saufen und dann war eine Suchtverlagerung angesagt. Aber der hat mir aus der heutigen Sicht mein Leben gerettet. Die Sucht die über Heroin und Subotex und den ganzen Scheißdreck läuft, die kannst du nicht einfach drei Tage in der Klapsmühle runterkriegen. Das läuft nicht. Die Therapien sind ja deshalb damals so veranschlagt wurden, dass sie mindestens ein bis zwei Jahre gehen bis du überhaupt da draußen wieder zurechtfinden kannst und du hast ein Päckle zu tragen.
Uwe: Die Gelder wurden alle gestrichen. Absolut. Heute sagt man zu einer Langzeittherapie 12 Wochen. Die erste Langzeittherapie, die ich schon gemacht habe hat 18 Monate gedauert und hat auch nicht sehr viel gebracht für ein bisschen nehmen. Ich hab dann auch weitergemacht, aber ich leb noch hurra.
Ellis: Aber was waren für euch die entscheidenden Momente, die euer Leben verändert haben. Bei dir Uwe war es die Arbeit in der Selbstvertretung.
Uwe: Das war das A und O seit 2016. Hätte ich dieses Plakat nicht gesehen, würde ich heute nicht mehr leben. Ich sag immer Zufall, aber das ist kein Zufall. An diesem Tag habe ich die richtigen Menschen kennengelernt, die ich gebraucht habe, um jetzt hier zu sitzen. Die Menschen genau die am Bahnhof schon angefangen mit einem kleinen Penner. Da wurde dann gesagt es gibt dort keinen Alkohol. Und da dachte ich schon ich fahr wieder nach Hause, dann der andere mit seinem langen Bart: der erzählt nur quatsch, geh da mal hin und dann habe ich Doktor Schneider und den Rest gleich an einem Tisch kennengelernt. Und ich war direkt eingespannt. Es war interessant und seitdem bin ich dabei und es macht mir Spaß. Ich muss zwar dazu sagen, dass ich immernoch trinke in Maßen. Aber ohne das würde ich nicht mehr leben.


Leserbrief von Dieter Koschel (Lüneburg):

Sehr geehrte Damen und Herren!

Als Leiter der Einrichtung Herbergeplus in Lüneburg möchte ich mich zu dem von Ihnen veröffentlichten Beitrag – Weitblick trifft auf…Selbstvertretung wohnungsloser Menschen – und das diesbezügliche Interview vom 18.02.2020 äußern :

In der Herberge gibt es keine Sozialarbeiter, die so agieren, wie Herr W. das beschrieben hat. Die Behauptung, ein Sozialarbeiter würde in sein Zimmer kommen und dort eine Linie Koks ziehen, ist einfach absurd und falsch!

 Ich möchte richtigstellen, dass wir hier eine suchtakzeptierende Grundhaltung zu unseren Bewohnern praktizieren, schließe aber vehement aus, dass Mitarbeiter gemeinsam mit Bewohnern Drogen konsumieren.

Wir bemühen uns sehr , allen Wohnungslosen eine unterstützende und wertschätzende Arbeit entgegen zu bringen und bedauern, dass einzelne Menschen wie Herr W. das völlig anders erleben, so wie er es am Anfang des Interviews geschildert hat.

(Bezüglich der Beurteilung der Lüneburger Substitution habe ich auch eine abweichende Haltung , kann die Äußerungen im Interview aber so als „Walters“ persönliche Meinung belassen.)

Können Sie meine Mail als „Leserbrief“ so veröffentlichen oder welche Möglichkeit besteht sonst ?

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Koschel
Leitung Fachbereich Wohnen und Unterkunftssicherung
Lebensraum Diakonie e.V.
HERBERGEplus.
Beim Benedikt 11a
21335 Lüneburg

Joomla templates by a4joomla