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Vor einer Woche habe ich die Fachtagung Wohnungslosenhilfe in Schleswig-Holstein besucht.

Foam on the shore of the lake Palokkajärvi, Jyväskylä - Quelle: WikiCommonsIch habe ja nun schon mehrere solche Veranstaltungen hinter mir, auf denen Fachleute und Experten über Laien (hier 'Klienten' oder 'Adressaten' genannt) sprechen. Verständlich ist das aber nur für die Experten, ProfessorInnen usw., während man als Betroffener von Wohnungslosigkeit und Armut kopfschüttelnd zurückbleibt und sich fragt: Was soll das eigentlich alles? Wozu machen die das? Warum geben sie nicht einfach den Wohnungssuchenden Wohnungen, und gut is' ?

Aber nur Joachim Tein und Lukas Lehmann von der Hempels- Stiftung beschäftigen sich damit, wohnungslose Menschen mit Wohnraum zu versorgen, während die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Geld eher damit verdienen, welche Worte zulässig sind, und welche nicht.

Nach dem Landespastor Heiko Naß legte die Ministeriumsfrau Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! auf. Frau Krost fungiert als Vertreterin der Referentin für Soziales im Ministerium.

Sie las mit monotoner Stimme einen vorbereiteten Text ab. Eher kein selbst formuliertes Grußwort, meinte man das Fabrikat eines ihrer Mitarbeiter herauszuhören.

Der Chef des Ministeriums für Soziales(...), Heiner Garg (FDP), war leider nicht anwesend. Mehr Emotionen und Empathie hätten dem Vortrag sicherlich nicht geschadet und hätten das Verständnis gefördert.

Mit dem rechten Zeigefinger die aktuelle Zeile fixierend, forderte Frau Krost die Erhebung einer aktuellen bundesweiten Wohnungslosenstatistik.Steigende Mietpreise in den Ballungsräumen würden in den Menschen die Angst auslösen, ihren angestammten Wohnraum nicht mehr bezahlen zu können.

Danach stellte ein Professor Mürel aus Koblenz die (wichtige !) Frage nach der Relevanz der sozialen Arbeit in einer konfessionellen Einrichtung, und warum “wir das überhaupt machen”. Leider gab er auf die Frage keine Antwort, wenigstens war sie unverständlich.

Immer wieder betonte Dr. Mürel die Unverstehbarkeit des Menschen, diagnostizierte den Menschen als ein “bleibendes Mysterium” und konstatierte eine “Geheimnishaftigkeit der Person, unverstehbar”. Daraus schien er die Menschenwürde ableiten zu wollen. Gleichzeitig war es für ihn kein Problem, “die Gesellschaft” als Urheber der Entwürdigung der Menschen zu sehen, und warum Menschen unsichtbar sind und nicht gesehen werden. Er zeichnete das fatalistische Bild des einzelnen Benachteiligten, der sich nicht aus seiner Lage befreien kann, der keine Solidarität in einer Gruppe Gleichgesinnter empfinden kann und folglich auch nicht für seine Würde Verantwortung übernehmen kann. Der einzelne sei immer und überall Opfer der Gesellschaft und ihrer Kräfte, woraus er sich auch nicht befreien könne, indem er sich z. B. mit anderen zusammenschließt. Die Gesellschaft sei es, die den einzelnen definiert. Für ihn war die Wahrnehmung der “Gesellschaft” und ihr Verständnis überhaupt kein Problem, während der Mensch das Mysterium darstellte.

Nach ihm betrat der Professor Ansen die Bühne, seines Zeichens ein Professor für angewandte Sozialwissenschaften. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sich mit Artikel 1 des Grundgesetzes (Würde des Menschen) begnügen wollte, empfahl Herr Ansen immerhin, die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes (binden ab Artikel 2 Legislative, Judikative und Exekutive als unmittelbar geltendes Recht) als Realutopie anzusehen. Für Professor Ansen ist es “zynisch, Menschen Freiheit zuzugestehen, ohne für eine Grundsicherung zu sorgen”. - Wieso Freiheit ohne Grundsicherung zynisch sein soll, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Natürlich hat es einen Wert in sich, wenn jedeR seinen Aufenthaltsort frei wählen kann und nicht beliebig in Arbeiterkolonien festgehalten wird. Im Gegensatz zu Professor Mürel, für den der Status Quo benachteiligter Menschen durch nichts anderes als “die Gesellschaft” bewirkt wird,so dass alle Veränderung nur durch Einwirken auf dieses anonyme Ganze erfolgen kann (das für ihn überhaupt kein Rätsel darstellt), sprach Professor Ansen doch immerhin den benachteiligten Menschen die Möglichkeit zu, selbst etwas für sich bewirken zu können und nicht vollständig den Zeitläuften ausgeliefert zu sein. Er war sogar der Meinung, dass die Sozialarbeit Wohnungslose dabei unterstützen kann, die eigene Sache selbst in die Hand zu nehmen. Das ließ aufhorchen.

Dr. Jana Molle, die nächste Vortragende, stach hervor mit ihrer etwas widersprüchlichen Aussage, dass “sozialarbeitspolitisches Handeln keine Politik” sei, dass man politisches Handeln also strikt von Politik trennen solle. Immerhin gestand sie die Möglichkeit zu, dass Wohnungslose “freche” politische Forderungen stellen könnten, die dann aber wohl auch strikt von Politik zu trennen sind. Wieso “Soziale Arbeit...politische Gestaltungsspielräume” hat, ohne Politik zu sein, erschließt sich mir nicht ganz.

Frau Molle befasste sich in ihrem Vortrag mit dem “Advokatorischen Handeln” in der Wohnungslosenhilfe, darüber hinaus betonte sie die Wichtigkeit von “sozialen Diagnosen”, wobei die Sichtweise der Wohnungslosen auf ihre eigene Lage Berücksichtigung finden solle. Hier fehlte dann völlig das Sprichwort, Wohnungslose seien “Experten in eigener Sache”, das man ja sonst an vielen Stellen hört. Stattdessen rückte Frau Dr. Molle SozialarbeiterInnen in die Nähe von Anwälten und Ärzten (“Diagnose”). So gerät die Reputation von SozialarbeiterInnen in die Nähe von hochangesehenen Berufsgruppen. Darüber hinaus können die Wohnungslosen gegen diese soziale “Diagnose” natürlich wenig machen. Das ist dann wie bei den Ärzten: Die schreiben ihren Arztbrief, und das schreiben alle anderen ab. Aber, was wichtig ist, die Frau Dr. Molle wünscht sich, dass alle Wohnungslosen und überhaupt alle Menschen politisch tätig sein und sich politisch artikulieren sollten. Das sehe ich genauso. Insofern ist das Gerede von “Der Politik”, die ganz woanders verortet sein soll und nicht hier und jetzt, eine Selbstbeschneidung.

Last, BUT NOT LEAST kamen Joachim Tein und Lukas Lehmann von HEMPELS e.V. zum Zuge.

Joachim Tein hat in Kiel ein Grundstück gekauft, mit einer heruntergekommenen Immobilie drauf. Er hat dieses Haus mit wenig Geld wiederhergerichtet und vermietet dort Wohnungen an Menschen, die schon sehr lange wohnungslos sind. Er baut dort auch ein neues Haus mit neuen Wohnungen und setzt sich in diesem Zusammenhang intensiv mit der Realität auseinander (z.B. hohe Baukosten durch Bauvorschriften, dadurch hoher Mietpreis für neue Wohnungen). Joachim Tein hilft den Wohnungslosen wirklich, indem er Wohnungen schafft. Für Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt größte Schwierigkeiten haben, an Wohnraum zu kommen.

Joachim Tein und seine MitarbeiterInnen haben bei ihrer Tätigkeit als Vermieter oft mit Menschen zu tun, die Probleme mit der Wohnfähigkeit haben, also eigentlich nicht wohnfähig sind bzw. noch wohnfähig werden müssen. Herr Tein hat davon erzählt, dass der Professor Ansen die Hände über dem Kopf zusammenschlage, wenn er dieses Wort höre, man dürfe das Wort “Wohnfähigkeit” auf keinen Fall benutzen. Aber Joachim Tein sagte, dass er das Wort weiter benutzen werde, solange kein besseres zur Verfügung stehe, um das Problem zu benennen.

Der Professor Ansen konnte diesen Einwurf aus der Praxis aber nicht mehr hören. Er hatte noch vor dem Mittagessen die Fachtagung verlassen.

Markus aus Neumünster

Foto: Foam on the shore of the lake Palokkajärvi, Jyväskylä
Fotograf: Tiia Monto
Quelle: WikiCommons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Foam_Jyv%C3%A4skyl%C3%A4.jpg:Foam_Jyv%C3%A4skyl%C3%A4.jpg