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Selbstvertretung wohnungsloser Menschen – von der Idee zur Organisation.

Sachbericht 2019 für Auszahlung – Projekte:

1. Bitte stellen Sie kurz die bisherigen Inhalte Ihres Vorhabens dar (Kurzbeschreibung).

Symbolbild für Berichterstattung - 5 Menschen an einem Tisch - Quelle: WikiCommons

Das Projekt wurde ab März 2019 wie geplant durchgeführt und der Auftakt war ein Koordi­nierungstreffen, auf dem schwerpunktmäßig das Wohnungslosentreffen 2019 in Herzogsäg­mühle inhaltlich und organisatorisch vorbesprochen und geplant worden ist. Weitere The­men waren die Abstimmung der verschiedenen Termine, an denen Menschen aus der Selbst­vertretung beteiligt oder aber eingeladen waren.

Das Wohnungslosentreffen 2019 in Herzogsägmühle, Bayern war deshalb eine Herausforde­rung, weil erstmalig das Treffen an einem anderen Ort als Freistatt, Niedersachsen durchge­führt wurde. Dazu gehörten eine Reihe organisatorischer Fragen. Zu diesem Zweck ist das Or­ga-Team mehrfach nach Herzogsägmühle gefahren, um sich mit den Verhältnissen vor Ort vertraut zu machen. Das Wohnungslosentreffen 2019 wurde auf einer Pressekonferenz zu­sammen mit dem Vorstandsmitglied von Bethel – Frau Dr. Will-Armstrong, der Geschäftsfüh­rerin des Bayerischen Fachverbandes Wohnungslosenhilfe, Frau Heidi Ott, einem Vertreter der Diakonie Oberbayern sowie von einem Selbstvertreter aus Herzogsägmühle, Lutz Schmidt, einer Selbstvertreterin des Frauennetzwerkes, Corinna Lenhart sowie dem Orga-Team vorgestellt.

Auf dem Wohnungslosentreffen selbst wurde das umfangreiche Programm mit anfangs sehr großer Beteiligung abgearbeitet, allerdings machte die erhebliche Hitze und die weiten Wege zum Veranstaltungsort den Teilnehmenden zu schaffen. Der große Rainer-Endisch-Saal hinge­gen war ein optimaler Ort für Plenum und größere Veranstaltungen.
Die Abschlusserklärung, die insgesamt 16 Punkte umfasst, dokumentiert, welche thematische Vielfalt auf dem Wohnungslosentreffen abgearbeitet wurde (siehe Anlage 1).

Jenseits von Wohnungslosentreffen 2019 und den Koordinierungstreffen im Frühjahr und Herbst 2019 wurde eine Vielzahl von Veranstaltungen von Menschen der Selbstvertretung besucht. Dabei wurden drei Tendenzen sichtbar: Erstens hat sich die Selbstvertretung stark in die Fachdiskussion der Wohnungslosenhilfe eingebracht (z.B. auf der Tagung des Niedersäch­sischen Fachverbandes der Wohnungslosenhilfe), zweitens gab es einige Veranstaltungen, die sich ganz allgemein an die interessierte Öffentlichkeit richteten (z.B. der Stand auf der Reisemesse Reiselust Bremen oder die Touristik in Bad Salzuflen), zum dritten gab es eine Reihe von Veranstaltungen zum internen Austausch (z.B. Arbeitswoche der Koordinierungs­stelle, Fortbildung zum Thema Moderation). Eine vollständige Übersicht der Liste der Veran­staltungen, an denen Menschen aus der Selbstvertretung beteiligt waren, siehe Anlage 2).

Eine der selbst gestellten Aufgaben bestand darin, die Rechtsform der Selbstvertretung zu prüfen und in dieser Frage voranzukommen. Dazu gab es einen Workshop im Vorfeld des Wohnungstreffens, und auch auf dem Wohnungslosentreffen selbst wurde an der Fragestel­lung weiter gearbeitet. Nach dem Wohnungslosentreffen entstand die Einschätzung, das An­liegen jetzt zu konkretisieren, eine Vereinsgründung vorzubereiten und umzusetzen. Dazu gab es ein weiteres Vorbereitungstreffen, auf dem ein Entwurf der Satzung vorbereitet wor­den ist.

Die eigentliche Vereinsgründung fand am 09.10.2019 (Gründungsversammlung) im Rahmen eines Koordinierungstreffens statt. Der Notartermin zur Eintragung in das Vereinsregister fand am 25. Oktober 2019 statt, das Finanzamt Sulingen bescheinigte dem neu gegründeten Verein die Gemeinnützigkeit mit Schreiben vom 04.12.2019.

Alle hier genannten Veranstaltungen waren öffentlich ausgeschrieben, so daß alle Menschen aus der Selbstvertretung die Möglichkeit hatten, sich daran zu beteiligen.

2. Bitte stellen Sie Ihre angestrebte bzw. erreichte Zielgruppe Ihres Vorhabens dar

An der Zielgruppe hat sich nichts geändert. Ziel des Projekts ist es, wohnungslose bzw. ehe­mals wohnungslose Menschen bzw. Menschen in Wohnungsnot, die mitwirken wollen am Aufbau einer Selbstvertretung, aktiv mit einzubeziehen. Vor allem durch das Wohnungslo­sentreffen in Herzogsägmühle, Bayern, aber auch durch zahlreiche Veranstaltungen, die im gesamten deutschsprachigen Gebiet stattfanden, konnte dieses Ziel erreicht werden.

Insgesamt schätzen wir ein, dass die Vielzahl der Veranstaltungen dazu beigetragen hat, dass die Bekanntheit zugenommen hat. Um die Bekanntheit zu steigern, wurde ein Flyer mit Infor­mationen zur Selbstvertretung erstellt, gedruckt und verteilt. Dieser Flyer wurde bei ver­schiedenen Veranstaltungen eingesetzt.

Außerdem wurde eine email Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! eingerichtet mit dem Ziel, eine Kontaktadresse anzubieten. Im Gäste- und Seminarhaus Wegwende wurden zwei Büros eingerichtet. Damit hat das Projekt eine gute organisatorische Basis, insbesondere bei Koor­dinierungstreffen und anderen Workshops, die in Freistatt stattfanden, konnte den Teilneh­menden auch ein Internetzugang und Computerarbeitsplätze angeboten werden.

3. Welche der gesetzten Ziele konnten bisher erreicht werden und wie gestaltete sich die kon­krete Umsetzung (Methode)?

Wie bereits dargestellt, wurden innerhalb der Selbstvertretung sehr viele Themen bespro­chen und dazu Positionen erarbeitet, siehe dazu das Ergebnisprotokoll der Koordinie­rungstreffen sowie des Wohnungslosentreffens 2019 und weitere Texte auf der Homepage. Bei den Veranstaltungen konnten viele Menschen eingebunden werden.

Durch die Regelmäßigkeit der Veranstaltungen und auch durch gezielte Schulungsmaßnah­men – zum Beispiel das Moderationstrainigung – bekamen die Menschen aus der Selbstver­tretung zunehmend mehr Übung, ihre Sichtweisen zu artikulieren, ihre Positionen zu entwi­ckeln, im öffentlichen Raum oder bei Veranstaltungen vorzubringen und sich einer Diskussion zu stellen.

Intern war weiterhin wichtig, das Projekt gemeinsam im Plenum zu besprechen, alle zu Wort kommen zu lassen und alle einzubeziehen, soweit es möglich ist. Dabei wurden ganz unter­schiedliche Kompetenzen sichtbar.

Es zeichnete sich dabei auch eine Art Arbeitsteilung ab. Einige Menschen aus der Selbstver­tretung wirkten in Gremien und Arbeitsgruppen mit, in denen Positionen erarbeitet worden sind (z.B. Deutscher Verein: Überarbeitung der Handreichung zur Prävention von Wohnungs­verlust), andere arbeiteten an Konzepten in Kooperation mit der Theaterwerkstatt Bethel, um Themen wohnungsloser Menschen in Form von Straßen bzw. Stehgreiftheater in die Öf­fentlichkeit zu bringen, wiederum andere hatten interesse, auf Informationsständen über die Arbeit der Selbstvertretung zu informieren.

Wichtiger Höhepunkt war der gemeinsame Stand auf dem Kirchentag in Dortmund mit der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Auf dem Stand war das Thema Wohnungsnot Schwer­punkt, und im Rahmen des Kirchentages gab es eine ganze Reihe von Gesprächen, die teil­weise auch vorbereitet waren, zum Beispiel mit Kathrin Göring-Eckhart, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90 Die Grünen im Deutschen Bundestag und Maria Loheide, Vorstand Sozialpoli­tik der Diakonie Deutschland.

Ein weiteres wichtiges Ereignis war das Recht auf Stadt Forum im Mai 2019 in Hamburg. Hier ist es gelungen, Menschen aus der Selbstvertretung in Kontakt zu bringen mit Initiativen der Stadtpolitik, der Nachbarschaftsarbeit und des Engagement für bezahlbaren Wohnraum.

4. Gab es wesentliche Veränderungen im Rahmen der Projektdurchführung gegenüber der ur­sprünglichen Antragsstellung? Bitte nennen und stellen Sie die Gründe dar.

Nicht geplant war die Gründung eines Vereins. Gründe hierfür war das Bedürfnis der Teilneh­menden, eine konkrete Rechtsform einzurichten. Daraus resultieren eine Reihe weiterer Auf­gaben, bei denen die Menschen aus der Selbstvertretung unterstützt werden müssen: Recht­liche und formale Fragen wie Gemeinnützigkeitsrecht, Vereinsregistereintragung, Einrichtung eine Kontos, Jahresberichte, Mitgliederversammlungen, Vorstandsarbeit, Erarbeitung einer Geschäftsordnung für den Vorstand und weiteres mehr.

In der Satzung ist festgelegt, dass nur wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen Vereinsmitglied werden können, damit soll sichergestellt werden, dass es keine Beeinflussung und Instrumentalisierung von außen geben soll, um die Glaubwürdigkeit des Anliegens zu unterstreichen. Nicht-wohnungslose Menschen können Fördermitglied werden mit eingeschränkten Rechten (vgl. Anlage 3: Satzung des Vereins Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.)

Die mit der Vereinsgründung verbundene Problematik besteht darin, dass die Aufgaben in Verbindung mit dem Verein den Blick auf viele politische Fragen verstellen können.

5. Wie viele Teilnehmer/Nutzer konnten Sie bisher mit Ihrem Vorhaben erreichen?

Rückblickend auf das Jahr 2019 kann festgehalten werden: Im Jahr 2019 ist es gelungen, ins­besondere durch das Wohnungslosentreffen in Herzogsägmühle, den Kreis dem wohnungslo­sen bzw. ehemals wohnungslosen Menschen, die an einer Selbstvertretung mitarbeiten wol­len, deutlich zu erweitern.

Durch die sehr große Beteiligung an Veranstaltungen dürfte die Bekanntheit des Projekt auch weiter zugenommen haben, insbesondere ist im vergangenen Jahr das Netz der persönlichen Kontakte zu Akteuren in der Wohnungslosenhilfe, in der Wissenschaft sowie in der Politik deutlich gestiegen, das wird unter anderem auch deutlich durch die steigende Zahl der Anfra­gen: Interviews oder Mitwirkung an Veranstaltungen.

6. Wie viele Teilnehmer/Nutzer wollen Sie noch erreichen?

Ziel des Projektes ist es, die Zahl der Teilnehmenden ständig auszuweiten. Dabei ist aber zu beachten, dass mit der Lebenlage Wohnungslosigkeit eine Reihe von Schwierigkeiten verbun­den sind. Die Menschen, die wir ansprechen wollen, sind entweder auf der Straße und besu­chen nur gelegentlich Einrichtungen, wo sie auch nur eventuell Zugang zu Internet und Com­putern haben, andere Menschen sind in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und auch dort ist es nicht selbstverständlich, einen solchen Zugang zu haben. Die Regelsätze von SGB II sind ebenfalls nicht ausreichend, um sich Kommunikationsmittel zu beschaffen, so daß viele Menschen mit veralterter unzuverlässiger Technik arbeiten müssen oder aber aufgrund von Prepaid-Karten häufig ihre Telefonnummer wechseln und dies nicht immer mitteilen. Ein wei­teres Problem ist auch, dass es Menschen ohne Papiere gibt, die grundsätzlich Schwierigkei­ten haben, Verträge abschließen zu können. Ein weiteres Hindernis sind bestehende Schul­den.

Auch ist lange nicht gesagt, dass ein Mensch, der sich für das Netzwerk der Selbstvertretung interessiert, sich auch tatsächlich langfristig engagieren wird. Oftmals ist eine Teilnahme an einer Veranstaltung nur ein Baustein einer allgemeinen persönlichen Suchbewegung, wieder ein soziales Netzwerk aufzubauen.

Es muss auch selbstkritisch gesehen werden, dass interne Streitigkeiten und Konflikte, die im­mer wieder neu entstehen, für neu hinzu kommende Menschen eine Hürde darstellen, die abschreckend wirkt. Auf der anderen Seite wird von Teilnehmenden das Netzwerk durchaus auch als ein „soziales Zuhause“ gesehen und wahrgenommen.

Die Selbstvertretung hat auf dem Koordinierungstreffen bereits 2018 beschlossen, ein Dees­kalationstrainigung durchzuführen, dieses ist für das Jahr 2020 geplant.

7. Welche Umsetzungsschritte planen Sie als nächstes geplant? Ein grober Ausblick wäre aus­reichend

Für 2020 sind geplant, wieder ein Wohnungslosentreffen, diesmal in Nordrhein-Westfalen durchzuführen, sowie jeweils ein Koordinierungstreffen im Frühjahr und im Herbst. Die Ar­beit soll in den Regionen auf- und ausgebaut werden (Treffen in Nord, Mitte und Süd), die Ar­beit an Themen soll weiter geführt werden, auch das Frauennetzwerk plant weitere Treffen. Hinzu kommen bereits geplante Beteiligungen an Tagungen, Kongressen und Fachveranstal­tungen.
Auch die Vereinsarbeit (Vorstandssitzungen, Mitgliederversammlungen, eigene Vereinspro­jekte usw.) wird weiter entwickelt.

In Berlin ist eine Kundgebung zur „Nacht der Solidarität“ geplant (Obdachlosenzählung) und auch eine ganze Reihe weitere Veranstaltungen mit Mitwirkung von Menschen aus der Selbstvertretung sind bereits geplant.

Freistatt, 09.11.2020

Dr. Stefan Schneider unter Mitwirkung von Jürgen Schneider und Dirk Dymarski

  • Anlage 1: Abschlusserklärung auf dem Wohnungslosentreffen 2019 in Herzogsägmühle
  • Anlage 2: Liste der Veranstaltungen mit Beteiligung der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen
  • Anlage 3: Satzung des Vereins Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.
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